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Griechenland im Kino : Die Explosion, die nach der Tragödie kommt

Die Frau, die nicht mehr weiter weiß: Angeliki Papoulia in „A Blast - Ausbruch“ Bild: Realfiction Filme

Die Vergangenheit hat schon die Gegenwart Griechenlands ruiniert. Frisst sie jetzt auch noch die Zukunft? Der Titel von Syllas Tzoumerkas’ Film gibt zumindest eine Antwort: „A Blast - Ausbruch“.

          3 Min.

          Natürlich wissen wir nicht, ob Giannis Varoufakis, Alexis Tsipras oder irgendein Mitglied der griechischen Regierung diesen Film gesehen haben, den es schon gab, bevor sie gewählt wurden. Vielleicht müssen sie ihn auch gar nicht angeschaut hat, um zu wissen, was in den Köpfen ihrer Landsleute vorgeht und zu welchen Handlungen die Finanzkrise sie treibt oder noch treiben wird. Aber womöglich versteht man die bisweilen rätselhafte griechische Politik besser, wenn man etwas von der Verzweiflung, Wut und rohen Vitalität gespürt hat, die in „A Blast - Ausbruch“ zum Ausdruck kommen.

          Peter Körte
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

              Der zweite Film von Syllas Tzoumerkas ist nun allerdings keine Dokumentation. Er ist auch nicht, was einem gerne als „wahre Geschichte“ verkauft wird. Er erzählt von der Befindlichkeit einer Generation, aus welcher der 36-jährige Regisseur selber stammt. Die Eltern haben dieser Generation nichts außer Schulden übriggelassen, die eigenen Kinder scheinen so wenig eine Zukunft zu haben wie sie selbst.

          Tzoumerkas geht keine allegorischen Umwege, um von der Situation Griechenlands zu erzählen. Da muss kein Auftragskiller, der nachts in einer Brotfabrik arbeitet, durch urbane Betonwüsten laufen, die aussehen, als sei eine Neutronenbombe niedergegangen - wie in dem Film „Stratos“. Oder eine mittelständische Familie sich plötzlich genötigt sehen, die langjährige georgische Haushaltshilfe zu entlassen - wie in „Sto spiti - At Home“.

          Ohne Umwege zur Sache

          Tzoumerkas geht direkt auf die griechischen Zustände los, und er hat eine Schauspielerin, die Zorn, Frustration, Getriebenheit, Leid und Leidenschaft der Protagonistin Maria mit atemberaubender Wucht darstellt. Angeliki Papoulia übertreibt nie, auch dort nicht, wo ihre Figur übertrieben reagiert. Wenn sie entgleist, wenn sie ungerecht und rasend wird, steht das immer in Einklang mit der Erregungskurve der Geschichte.

          Dazu trägt sicher auch bei, wie der Film die Chronologie aufsprengt, wie er Rückblenden dazwischenschießt, derart abrupt zwischen Gegenwart und Vergangenheit springt, dass man oft nur an den unterschiedlichen Frisuren und der Kleidung erkennt, in welcher Zeit sich die Handelnden gerade befinden. Diese schroff montierten Erzählblöcke gleichen jenen groben Steinen, die, wie das oft in mediterranen Ländern zu sehen ist, zu einer flachen Mauer am Feldrain zusammengefügt werden. Nicht sonderlich schön, aber sehr stabil.

          Liebe und Leidenschaft, ein Bild aus besseren Tagen: Maria (Angeliki Papoulia) mit ihrem Mann (Basile Doganis)
          Liebe und Leidenschaft, ein Bild aus besseren Tagen: Maria (Angeliki Papoulia) mit ihrem Mann (Basile Doganis) : Bild: REalfiction Filme

              Auf einem Feldweg beginnt auch der Film. Es ist Nacht, der Blick fällt durch die Frontscheibe eines Autos, das Radio läuft, die Nachrichten melden einen Waldbrand, dessen schwachen Widerschein wir sehen. Was es damit auf sich hat, ist im Laufe der Geschichte allmählich zu erahnen, bevor es am Ende Gewissheit wird. Wie beim Sendersuchlauf springt die Montage zurück, zu Maria und ihrer Schwester, an einen Strand, ins helle, sonnige Griechenland der Reiseprospekte, um Jahre zurück, als Maria eine hoffnungsvolle angehende Jurastudentin war.

          Geblieben ist davon nicht viel. Sie hilft der Mutter, die im Rollstuhl sitzt, den kleinen Laden zu führen. Der Vater, ein pensionierter Lehrer, sitzt bedrückt herum. Und aus Radio oder Fernsehen, die dauernd laufen, erfährt er, wie es um das Land steht.

          Kinotrailer : „A Blast - Ausbruch“

          Wut und Resignation

           Maria hat drei Kinder und einen Mann, der zur See fährt, als Kapitän anständig verdient und kein erotisches Abenteuer auslässt. Sie schlägt auf ihren Mann ein, wenn er nach kurzem Aufenthalt daheim wieder geht. Vorher haben sie leidenschaftlichen Sex miteinander gehabt, und die Rückblenden sind zugleich Bilder einer großen Hingabe. Was Maria tut, das tut sie mit Verve - und zusehends ohne Rücksicht auf Folgen und Verluste. Sie schlägt auch den Mann ihrer Schwester, der einen Schrottplatz betreibt und politisch mit den Faschisten sympathisiert. Marias Temperamentsausbrüche sorgen dafür, dass der Film ständig unter Strom steht.

          Wo die anderen sich wegducken und resigniert fügen, rastet sie aus. Eine Revolte ohne wirkliches Ziel und Plan. Als herauskommt, dass die Mutter nie Steuern gezahlt hat, wird sie gegenüber der alten Frau handgreiflich und ist kurz davor, ihre Aggression ungezügelt am Bankschalter und im Finanzamt herauszulassen, während sie zugleich versucht, die desolate finanzielle Lage der Familie zu mildern. Dass sie anfangs auch noch auf einen Sandsack eindreschen und schweißüberströmt joggen muss, ist vielleicht ein bisschen mehr, als nötig gewesen wäre - obwohl Angeliki Papoulia auch da noch eine gute Figur macht.

          Angeliki Papoulia als Maria
          Angeliki Papoulia als Maria : Bild: Realfiction Filme

          Trotz oder womöglich gerade wegen der retardierenden Wirkung der Rückblenden (die sich auch gar nicht alle Marias Perspektive zuordnen lassen) ist bald klar, dass es für Maria kein Zurück gibt; einen Aufschub vielleicht, aber keine Umkehr. Es ist, je länger man zuschaut, bloß die Frage, wohin Drehbuch und Inszenierung sie schicken werden. Tragödien sind ja selbst in Griechenland kein Automatismus. Unabhängig davon ist jedoch klar, dass ihr Weg keine Lösung sein und kein Rezept liefern wird - weder für die fiktive Figur noch für die Generation, welche sie repräsentiert.

           Was in „A Blast - Ausbruch“ passiert, das ist, um mal Alexander Kluge zu variieren, eine Art Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit. Die Vergangenheit hat die Gegenwart in den Ruin gestürzt und ist dabei, auch die Zukunft aufzufressen. Pünktliche Kreditrückzahlungen und Willfährigkeit gegenüber den Forderungen der Troika werden daran ganz sicher nichts ändern - schon gar nicht in den Köpfen der griechischen Bevölkerung. In Syllas Tzoumerkas’ Film kommt etwas von diesen griechischen Befindlichkeiten zum Vorschein. Und zwar sehr konkret, sehr deutlich, mitunter überdeutlich, deshalb aber keineswegs gegenstandslos.

              Filme sind nun zwar keine Barometer, auf denen sich ein steigender Luftdruck exakt ablesen ließe. Aber sie können etwas Ähnliches leisten wie ein Stethoskop, wenn man nur genau genug auf den Herzschlag hört und auf andere beunruhigende Geräusche. „A Blast“ hat diese diagnostische Kraft, auch wenn er in vielem unvollständig und roh wirkt.

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