Kino und Corona : Vor einem Superstau der ungezeigten Filme
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Hätte am Donnerstag in die Kinos kommen sollen: Christian Petzolds „Undine“ mit Paula Beer Bild: Christian Schulz/Schramm Film/Berlinale/dpa
Die Kinos haben geschlossen. Alle Dreharbeiten sind unterbrochen. Und was passiert mit den neuen Filmen und dem deutschen Filmpreis? Wir haben uns umgehört in der Branche.
Während des Telefonats wird eine Broschüre von der Druckerei geliefert, der Fensterputzer war auch schon da, sagt Jürgen Hillmer, der in Bielefeld die Lichtwerk Filmtheater Betriebs GmbH mit zwei Häusern und sechs Sälen leitet. Es ist viel Betrieb, obwohl die Kinos zu sind. Hillmer ist im Büro, er will Kurzarbeit für die insgesamt vierzig Mitarbeiter beantragen, über Mietstundung und mit den Energieversorgern verhandeln.
Es war alles ziemlich schnell vorbei. Schneller als angekündigt. Bielefeld und Kassel hatten Ende vorletzter Woche als erste deutsche Kommunen beschlossen, die Kinos zu schließen. Ab Sonntag. Aber schon am Freitagabend kamen Mitarbeiter des Ordnungsamtes mit Pfefferspray am Gürtel. Die laufende Vorstellung durfte noch beendet werden. Dann gingen die Lichter aus.
Dann kam das Ordnungsamt
„Ich kann es im Grunde gar nicht beschreiben“, sagt Hillmer. Kein Wunder, wer an 363 oder 364 Tagen im Jahr geöffnet hat, ob nun draußen 38 Grad sind oder Fußballweltmeisterschaft gespielt wird, kann sich einen Lockdown noch schwerer vorstellen als andere.
Für Hillmer ist die „ganz große Frage“, ob die Verleihe den Mut haben werden, die Filme weiter zu spielen, die jetzt unterbrochen werden mussten, wenn die Normalität zurückkehrt. „Wenn wir wieder anfangen, brauchen wir starke Filme.“ Filme wie „Die Känguru-Chroniken“ etwa, deren kommerzielles Potential noch nicht ausgereizt war.
Das wird nicht leicht auf einem überfüllten Kinomarkt. Mehr als 550 Filme kommen jährlich in deutsche Kinos, was zu viele sind, um Produzenten, Verleihern und Kinobetreibern vernünftige Renditen zu verschaffen. Diese Menge erfordert exakte Terminplanung, vor allem für größere Filme mit internationalen Starts, wegen der enormen Werbebudgets.
Für die Zuschauer ist der Filmstau, der nun durch die zahlreichen Verschiebungen entstehen wird, kaum wahrnehmbar. Das Publikum richtet sich nach dem je verfügbaren Angebot: Kommt der neue Bond nicht jetzt, kommt er im Herbst. Die Überproduktionskrise, die lange vor der Pandemie da war, berührt das Publikum nicht.
Der große Filmstau
Ökonomisch aber sind Schließung und Filmstau für Kinos und Verleihe schnell existenzbedrohend. Jürgen Hillmer, seit 30 Jahren im Kinogeschäft, zeigt trotzdem eine gewisse Gelassenheit.
„Wir fühlen uns gut aufgestellt“, sagt er, drei Monate könne man wohl überleben, ohne dass das Geschäftsmodell des Arthousekinos gefährdet sei; man werde einige Zeit brauchen, um wieder in die Gewinnzone zu kommen, eventuell auch Überbrückungskredite benötigen. Nur viel länger dürfe es nicht dauern.
Dass geschlossene Kinos sich auf das Zuschauerverhalten auswirken und die Streamingportale stärken, befürchtet Hillmer nicht. Er sei „relativ zuversichtlich“, dass Menschen sich nach längerem Verzicht freuen würden, wieder Filme in Gemeinschaft zu sehen.
Das Kino als Gemeinwesen
Unter den Plakaten, die bei ihm im Kinofoyer hängen, hatte Hillmer erzählt, sei auch das von „Undine“, dem neuen Film von Christian Petzold. Paula Beer, die auf der Berlinale den Preis für die beste Darstellerin erhielt, ist dort als moderne Wassernymphe zu sehen.