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Kamerafahrt : Schneller als die Polizei erlaubt

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Die Fahrt beginnt

Die Fahrt beginnt Bild:

1976 schnallte der Regisseur Claude Lelouch eine Kamera auf einen Rennwagen, raste durch Paris und wurde verhaftet. Lange war der Film nur ein Gerücht - jetzt kann man die Höllenfahrt auf DVD sehen.

          4 Min.

          Jahrelang war der Film nur ein Phantom. So wie sich hartnäckig das Gerücht hält, im Untergrund gebe es sogenannte snuff movies, die tatsächlich zeigen, wie Menschen vor der Kamera umgebracht werden, so galt dieser Film als eine Art feuchter Traum von Autobahnrasern.

          Da war also die Rede davon, daß Claude Lelouch 1976 eine Kamera auf einen Rennwagen geschnallt habe, der mit zweihundert Sachen im Morgengrauen durch Paris gerast sei, was nach der ersten Vorführung des Materials zur Verhaftung des Regisseurs geführt haben soll. Der knapp zehnminütige Film, so hieß es immer wieder, kursiere im Netz, wo man ihn sich unter dem Titel "Need for Speed" herunterladen könne; und es gebe eine deutsche Version, in deren Vorspann behauptet werde, der französische Formel-1-Rennfahrer Jacques Laffitte habe am Steuer gesessen.

          Der schnellste Regisseur der Welt

          Anderen Quellen zufolge war es Lelouch selbst, der seinen nagelneuen gelben Ferrari 275/GTB für diesen Stunt benutzt habe. Die Version ist nicht so abwegig, weil die Passion des Franzosen für Rennautos seit seinem oscargekrönten "Ein Mann und eine Frau", in dem Jean-Louis Trintignant einen Testfahrer spielt, weithin bekannt war. Jedenfalls wäre Lelouch, der sonst eher dem weitschweifigen Erzählen zuneigt, mit diesem Kurzfilm der schnellste Regisseur der Welt.

          Was immer man von diesen Gerüchten halten mochte, jetzt kann man sie nach über einem Vierteljahrhundert auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Der britische Dokumentarfilmer Richard Simons hat sich bei Lelouchs Produktionsfirma Les Films 13 um die Rechte bemüht und nach langen Verhandlungen vom Negativ eine Kopie ziehen dürfen, die jetzt auf DVD erhältlich ist ("C'etait un rendezvous", www.spiritlevelfilms.com, 14,99 Pfund, also etwa 22,50 Euro).

          Der verrückteste Dokumentarfilm

          Darauf sind zwar nur knappe neun Minuten Film, aber sie sind das Geld allemal wert, weil sie eben mehr sind als nur eine Fußnote zur Filmgeschichte. Sie gehören zum vielleicht schönsten und verrücktesten Dokumentarfilm, der je gedreht worden ist.

          Es beginnt mit einer Einblendung, auf die der Regisseur Wert gelegt hat: In diesem Film gebe es weder Tricks noch Zeitraffer. Und die Bewegungen der Passanten und der im gelben Scheinwerferlicht auffliegenden Tauben belegen, daß das nicht gelogen ist. Aber die Warnung ist berechtigt, weil es heutzutage ganz andere Methoden gibt, die Zuschauer hinters Licht zu führen und es noch nicht einmal mehr hilft, wenn man die Augen aufhält. Aber dies ist 1976, als ein Film noch ein Film war und keine digitalen Tricks dem Material ihren Willen aufzwingen konnten. Hier ist also ein Filmemacher, der mit seinem Leben für die Authentizität des gedrehten Materials einstand, und was immer man über die parfümierten Filme von Lelouch denken mag: Die bei den Dreharbeiten von "Ein Hauch von Zärtlichkeit" übriggebliebene Filmrolle, die er an diesem Augustmorgen im Jahr 1976 in seine Kamera einlegte, spricht eine andere Sprache. Was man da sieht, ist mehr als nur ein Hauch von Leichtsinnigkeit.

          Im Geschwindigkeitsrausch

          Es geht los auf dem Peripherique, wo die Kamera an der Porte Dauphine aus einem Tunnel auftaucht und die Abfahrt hinaufschießt zur Avenue Foch, die den Schlaf des Großbürgertums mit Bäumen vor dem Verkehrslärm schützt. Man hört das Heulen des V12-Motors, das Schalten der Gänge und das Quietschen der Reifen und gerät durch die bodennahe Perspektive, die das Straßenpflaster wie in einem Sog zu beschleunigen scheint, schnell in einen tranceartigen Geschwindigkeitsrausch, der tatsächlich an Computerrennspiele wie "Need for Speed" erinnert. Hinauf zum Arc de Triomphe, wo die letzten Nachtschwärmer sich nach Hause orientieren, die Champs-Elysees hinab zum Concorde, da ist das erste halbe Dutzend roter Ampeln bereits überfahren. Am Ende werden es fünfzehn sein, aber auch ohne Ampeln wird die Vorfahrt fröhlich mißachtet.

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