Julian Rosefeldt in Bonn : Wo Frauen auf einsame Reiter warten
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Das war der Wilde Westen: Ein Räderwerk der Illusion Bild: Julian Rosefeldt
Das Kunstmuseum Bonn zeigt die neueste Arbeit des Videokünstlers Julian Rosefeldt: In „American Night“ feiert er auf fünf Leinwänden den Western. Aufgefächert wird eine amerikanischen Mythologie, ohne sie als „falsches Bewusstsein“ zu entlarven.
Es war einmal, so hebt der Western immer an, um dann zu erzählen, wie es niemals gewesen ist - wie Männer einsam durch die Weiten reiten, innerlich zerrissen zwischen Freiheitsdrang und Heimatsehnsucht, in sich den Mythos der Grenzenlosigkeit lebendig haltend; wie Frauen, welche ihre Frauen sein könnten, im Türrahmen stehen und warten, ob sie umkehren und nach Hause kommen; wie sie andere Männer finden, am Lagerfeuer wortkarg ihre Nächte verbringen und dabei allenfalls Sätze von sich geben wie: „Ein Mann muss tun, was ein Mann nun mal tun muss“, oder: „Eine Waffe ist so gut wie der, der sie benutzt“; wie in den Städtchen, kleinen Oasen von Gesellschaft, sich das Verbrechen Bahn bricht, gegen das am Ende doch meistens das Gesetz zu seinem Recht kommt; und wie der Held, an der Grenze von Gesetz und Gesellschaft angelangt, sich wieder auf sein Pferd schwingt und im Abendrot verschwindet.
In Julian Rosefeldts neuester Arbeit, „American Night“, die das Bonner Kunstmuseum im Rahmen einer Werkschau mehrerer Installationen des Film- und Videokünstlers zeigt, sehen wir im Kern genau dies: Topoi des Western, verteilt auf fünf Projektionen, angeordnet in einem sanften Halbrund, das an die gekrümmten Leinwände für das extreme Breitwandformat der Cinerama-Filme denken lässt und gleichzeitig eine Lagerfeuersituation suggeriert. Ganz links: der einsame Reiter. Ganz rechts: die Frau, die wartend in der Tür steht. Zwischen ihnen die verlassene Dorfstraße, über die ab und zu Ballen von Steppenläufern wehen; eine Gruppe von Cowboys am Lagerfeuer; und der Saloon, in dem der Ruhe am Tag das nächtliche Remmidemmi samt Schlägerei folgt, mit der Sängerin im roten Kleid und der Marionettenspielerin als Assistentin des Zaubers. An den Fäden ihrer Figuren allerdings hängen: George W. Bush und Barack Obama. Und was die beiden sagen, fügt sich nahtlos in das Gespräch, in das für eine Weile die Cowboys am Lagerfeuer verfallen, und ist ebenso als Zitat verbürgt wie deren Sprüche.
Von der einen Projektion in die andere
Alles, was in diesen beiden Situationen gesprochen wird, dreht sich um Macht und Waffengewalt, darum, wie sich die eigenen Rechtsvorstellungen durchsetzen lassen, und wenn man will, kann man das als spöttischen Kommentar zur Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten verstehen. Dass „American Night“ einen nach Verlassen des Museums noch lange begleitet, dass man die Feuchtigkeit, die in dem Nebel hängt, durch den der Reiter gemächlich trabt, auf der Haut zu spüren meint, dass die Überraschung anhält, die einen anfiel, wenn plötzlich bunte Kakteenblüten an ihm vorbeiziehen, all das hat mit Bush-Kritik nichts zu tun. Sondern damit, wie Rosefeldt die Schichten der amerikanischen Mythologie vor uns auffächert, ohne sie als „falsches Bewusstsein“ entlarven zu wollen, wie das lange im Sprechen über Filme üblich war.
Wenn man sich genau in die Mitte des Halbrunds setzt, kann man leicht der Illusion verfallen, man sähe einen Film, obwohl die fünf Szenen weder im realen noch im filmischen Raum verbunden sind. Nur die Cowboys reiten irgendwann los und kommen auf der Straße an, an der der Saloon liegt, reiten sozusagen von der einen Projektion in die andere. Und darum geht es natürlich - um die Illusion und darum, sie zu brechen, ohne ihre Faszinationskraft zu zerstören, ein Genre in seine Webmuster zu zerlegen, ohne es plattzumachen, zu dekonstruieren, ohne den Zauber zum Verschwinden zu bringen.
Entzauberung auf Schienen
Brüche gibt es in allen Bildern. Der Reiter, der durch die unberührte Landschaft reitet, ist erstens schwarz, zweitens verschwindet er nicht in der Prärie, sondern führt sein Pferd über die Klippen ins Meer wie in einem Bild von Caspar David Friedrich. Auf der Dorfstraße landet irgendwann unter ohrenbetäubendem Lärm ein Hubschrauber, und aus ihm springen schwerbewaffnete Marines, die sofort die Straßenecken sichern, ganz deutlich abgesetzt im falschen Filmset, bis sich die Szene irgendwann beruhigt, Hubschrauber und Soldaten verschwunden sind und wieder Tumbleweed über die Straße weht.
Am Ende fährt Rosefeldt in zwei seiner Bilder mit der Kamera nach oben - im Saloon und vor der Wartenden im roten Schal - und entblößt die Kulissen, hinter denen seine Mitarbeiter geschäftig zwischen Lastern mit Gerät und Tischen fürs Catering oder Make-up Kabel aufrollen, Pferde herumführen und sonstige Dinge tun. Nicht umsonst zitiert der Titel der Installation Truffauts Film übers Filmemachen, „Die amerikanische Nacht“, dem es ja um genau dasselbe ging: uns zu zeigen, wie's gemacht wird, damit wir umso mehr auf das hereinfallen, was wir als Illusion zu durchschauen glauben.
Hinter der Frau, die ganze vierzig Minuten lang auf jemanden gewartet hatte, der nicht kam, eine Wartende für all die anderen Wartenden der Welt, entfernt sich langsam die Fassade, vor der sie fast unbewegt ins Weite blickte. Von oben sehen wir den Klotz, auf dem die Frau postiert war, und die Schienen, auf denen das Haus nach hinten gleitet, wie es sonst die Kamera auf ebensolchen Schienen tut. Und in der Entzauberung der Szene, die uns gleichsam ihr Skelett zeigt, liegt eine so große Schönheit, dass es uns den Atem verschlägt.