Regisseurin Isabelle Stever : Der kontrollierte Körper
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Sarah Nevada Grether in dem Film „Grand Jeté“. Bild: Brave New Work
„Ich möchte einer Frau zuschauen, die sich einfach Dinge nimmt“: Die Regisseurin Isabelle Stever erzählt mit ihrem neuen Film „Grand Jeté“ eine irritierende Mutter-Sohn-Geschichte.
Ballett ist eine grausame Kunst. Wer auf Zehenspitzen tanzt, wirkt federleicht, aber das Gewicht hinterlässt trotzdem seine Spuren, in den Füßen, in den Gelenken, in einem Körper, der vor Disziplin irgendwann zu erstarren droht. Nadja, die zentrale Figur in Isabelle Stevers Film „Grand Jeté“, ist von dieser Phase noch ein Stück weit entfernt. Sie tanzt nicht mehr aktiv, aber sie unterrichtet, und sie hat von der jahrzehntelangen Arbeit an ihrer Haltung immer noch so viel Kraft, dass sie einschüchternd auf andere Menschen wirkt.
Nadja ist nicht einsam, aber sie ist vor allem für sich. Man fragt sich, wer ihr vielleicht nahekommen könnte, wer ihre innere wie äußere Distanz überwinden könnte. „Grand Jeté“ gibt darauf eine überraschende, auch verstörende Antwort. Im Ballett bezeichnet dieser Begriff einen „großen Sprung“, man hebt auf einem Bein ab und landet auf dem anderen, muss dort die Energie, die in den Sprung geht, auch wieder abfedern.
Für Nadja wird die Begegnung mit ihrem Sohn Mario zu einem solchen großen Sprung, bei dem im Idealfall die Momente in der Luft wie eine Ewigkeit wirken, wie eine Zeit nach eigenem Gesetz. Mario hat sein ganzes Leben bei der Großmutter verbracht, er kennt Nadja kaum, nun ist sie plötzlich da, bei einem Geburtstagsfest, und ohne viele Umschweife kommen Mutter und Sohn einander näher.
Isabelle Stever geht bei „Grand Jeté“ von dem Roman „Fürsorge“ von Anke Stelling aus, erschienen 2017. Wenn man allerdings das Buch zu lesen beginnt, stößt man dort auf eine merkwürdige Präambel: Es wurde „im Auftrag“ von Isabelle Stever geschrieben. Wie ist das zu verstehen?
Ein Besuch bei der Berliner Filmemacherin in Schöneberg soll Aufklärung bringen. Isabelle Stever lebt hier mit ihrer Frau Anna Melikova, die das Drehbuch zu „Grand Jeté“ geschrieben hat. Es stellt sich heraus, dass dieses Projekt eine lange Vorgeschichte hat.
„2007 hat eine Schauspielerin, Franziska Petri, mir ein Treatment gegeben, eine Geschichte von einer Mutter, die mit ihrem Sohn ein Verhältnis eingeht. Etwas an dieser Geschichte hat mich irritiert“, erzählt Isabelle Stever. „Diese Irritation hat mich interessiert, daraus einen Film zu machen. Ich wurde damit nicht fertig als Autorin, also habe ich Anke Stelling den Text gegeben mit einem Statement von mir.“
Am Anfang war eine Irritation
Stever, die Mathematik an der Technischen Universität Berlin und danach Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) studiert hat, und die Schriftstellerin Anke Stelling kennen einander seit den frühen Nullerjahren. Damals arbeiteten sie gemeinsam an „Gisela“, auch das eine Geschichte, die als Text und als Film existiert, auch das schon eine Geschichte über eine Erotik, die sich zuerst einmal als reine Unmittelbarkeit zu geben versucht.
„Anke wurde mir im Grunde 2004 vom WDR zugesprochen“, erinnert sich Isabelle Stever. „Es gab den späteren Film ,Gisela‘ als eine überreiche Materialsammlung, ich habe daraus Szenen ausgewählt, in eine Reihenfolge gebracht und ihr geschickt. Sie hat mir dann ihre Version zurückgeschickt. So haben wir uns kennengelernt. Sehr konstruktiv. Bei anderen Filmen haben wir anders gearbeitet. Wir sind sehr vertraut im Sprechen über Stoffe.“