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Interview mit Sam Mendes : Denn wir wussten ja, was wir tun

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Der Mann hinter „Skyfall“: Sam Mendes, der Regisseur

Der Mann hinter „Skyfall“: Sam Mendes, der Regisseur Bild: REUTERS

Der neue James-Bond-Film kommt in die Kinos. Sam Mendes, der Regisseur von „Skyfall“, mag besonders Bonds dunkle Seiten, liebt ödipale Späße und erinnert sich an einen Satz von Camus.

          5 Min.

          Herr Mendes, können Sie sich noch an Ihren ersten Bond-Film erinnern?

          Ganz genau. Es war „Leben und sterben lassen“, ich muss damals neun gewesen sein. Roger Moore spielte Bond, und ich habe dank dieser Rolle eine Schwäche für ihn. Es kam mir alles unglaublich cool vor, es war so, wie ein Film sein sollte, eine geheimnisvolle Welt voller Frauen, Sex, Gewalt und auch noch Voodoo.

          Einfach überwältigend. Und was für ein Schock, ganz am Ende, wenn der Voodoo-Mann mit dem schwarz-weiß bemalten Gesicht auftaucht und man denkt, er sei tot, aber er lebt noch! Ich weiß, das klingt jetzt ziemlich prätentiös, aber es gibt diesen großartigen Satz von Albert Camus: „Ein Menschenwerk ist nichts anderes als ein langes Unterwegssein, um auf dem Umweg über die Kunst die zwei oder drei einfachen großen Bilder wieder zu finden, denen sich das Herz ein erstes Mal erschlossen hat.“ So habe ich das damals erlebt. Später dann, als Erwachsener, war Bond natürlich überhaupt nicht mehr cool, er wirkte altmodisch. Und als mein Freund Daniel Craig die Rolle übernahm, habe ich ihm sofort gesagt, das sei ein Fehler, ich dachte, er könne mehr als das. Dann habe ich mir „Casino Royale“ angeschaut und nach dreißig Sekunden gemerkt, dass ich unrecht hatte.

          Haben Sie je daran gedacht, mal bei einem Bond-Film Regie zu führen?

          Nie.

          Und als man auf Sie zukam, haben Sie sich da gefragt: Warum ich?

          Nein, ich finde, die Frage hätte von Unsicherheit gezeugt. Im Gegenteil, ich habe mich gefragt: Was habe ich davon? Es war eine gewaltige Herausforderung, die mir fast Angst einjagte, weil der Film mich nach England zurückführte, ich habe ja alle Filme bisher in Amerika gedreht. Und dann zum ersten Mal Action mit einem richtigen großen Budget.

          „Jarhead“ war ja nun auch nicht gerade Low Budget und arm an Action!

          Schon, auch „Road to Perdition“ war sehr aufwendig, aber an einen Bond reicht das nicht heran. Der Druck brachte mich erst richtig in Fahrt. Es war eben auch eine Herausforderung, einen Film zu machen, der ein großes Publikum unterhält und zugleich etwas Persönliches hat.

          Bleibt denn bei einer Weltmarke, bei einem Franchise wie den Bond-Filmen überhaupt viel Raum für das, was Sie „etwas Persönliches“ nennen?

          Man hat mir gleich von Anfang an gesagt: Wir wollen nicht einen Bond-Film, wir wollen deinen Bond-Film. Auch nach 22 Bond-Filmen ist ja der Wunsch da, eine individuelle Vision zu bekommen. Als ich spürte, dass ich auch mit gewagteren Ideen durchkommen würde, habe ich zugesagt. Man ist als Regisseur heute auch in einer merkwürdigen Situation. Filme mit mittlerem Budget, wie ich sie bisher gemacht habe, Filme wie „American Beauty“ oder „Jarhead“, werden nicht mehr gemacht. Man muss also Produzenten finden, die entweder drastisch nach unten gehen mit dem Budget oder steil nach oben. Ein Peter Jackson, Paul Greengrass oder Christopher Nolan, sie alle können keine 15-Millionen-Dollar-Filme mehr machen, da bleibt dann nur der Weg, es für 150 Millionen oder mehr zu machen.

          Wie intensiv war denn Ihre Mitarbeit am Drehbuch?

          Als ich an Bord kam, gab es überhaupt kein Drehbuch. Ich habe zusammen mit den Autoren gearbeitet. Dann kam der Bankrott von MGM dazwischen, der Film wurde um ein Dreivierteljahr verschoben. Offiziell durften wir gar nicht weiter am Drehbuch arbeiten, aber natürlich haben wir es getan. Und so frustrierend diese Verzögerung damals war, dem Drehbuch hat diese zusätzliche Zeit am Ende nur gutgetan.

          Visuell ist der Film ungewöhnlich für einen Bond. Bilder und Farben sind sehr genau auf die Gemütslagen des Helden abgestimmt.

          Bond hat einem ja immer das Gefühl vermittelt, man bekomme was von der Welt zu sehen. Ich wollte es spezifischer haben, ich wollte Drehorte finden, die zu seiner Stimmung und zu der Geschichte passten. Schanghai zum Beispiel haben wir gewählt, weil es ein fremdes, futuristisches Ambiente ist, riesige Straßenwüsten, kaum Menschen sind nachts unterwegs. Es ist Bonds erster Einsatz nach seinem vermeintlichen Tod, er weiß nicht, ob er es noch mal packen wird, er sollte in einer Umgebung isoliert sein, sich unbehaglich fühlen. Anfangs in Istanbul ist es noch hell, mediterran, das entspricht Bond - und dann ändert sich alles. Natürlich braucht man für all das einen so großartigen Kameramann wie Roger Deakins. Mir hat am meisten gefallen, wie er London zeigt in dieser Kombination von Regenwetter, Untergrund der Kanalisation, den Zeichen von Verfall, das hat beinahe etwas von Filmen wie „Der dritte Mann“.

          Macau wirkt hingegen wie ein Anflug von Nostalgie, das ist die alte Bond-Welt, in der es noch Casinos, Martinis und schöne Frauen gibt.

          Auch das passte zu seinem Zustand. Für mich war der Moment, in dem er sich rasiert und dann im Smoking dasteht, wie eine Wiedergeburt und eine Erinnerung an den alten Bond. Und die Komodowarane dort sollen ein wenig an „Leben und sterben lassen“ erinnern, wenn Roger Moore über die Rücken der Krokodile flieht. Macau ist gewissermaßen die komprimierte Bond-Nostalgie.

          Einen Ort wie das alte „Skyfall“-Haus in den schottischen Highlands hat man in einem Bond-Film auch noch nicht gesehen.

          Es markiert einen weiteren Umschwung. Der dritte Akt setzt ein, wenn Bond in den alten Aston Martin von 1964 steigt. Es ist eine Reise ins Gestern. Im Übrigen gibt es auch in den letzten Bond-Romanen von Ian Fleming sehr dunkle Passagen über Bond, die in den Filmen wie „Der Mann mit dem goldenen Colt“ nie zum Vorschein gekommen sind, weil sie zu düster waren. Er ist zynisch, voller Selbsthass, depressiv. Auch der Tod seiner Eltern kommt dort vor, das war bislang im Kino noch nicht Thema. Daniel Craig kann all das schultern, die Action wie die Verletzbarkeit.

          Beim Blick zurück ist auch der ödipale Touch nicht zu übersehen.

          Wir haben ja gewusst, was wir tun, wenn Silva sagt: „Mami war sehr böse.“ Selbst den Figuren ist die Ironie bewusst. Es hat großen Spaß gemacht, M. als M für Mutter zu lesen. Und es ist bezeichnend, dass „Mutter“ ihren beiden „Söhnen“ nichts, aber auch gar nichts gibt.

          Die Kehrseite des Ganzen aber ist: Bond ist sterblich geworden, die Superman-Aura ist fort.

          Klar, das schafft gewisse Probleme. Daniel Craig weiß auch, dass man mit 55 keinen Bond mehr spielen kann. Er sagt sich: Mal sehen, was passiert, wenn der Charakter altert.

          Es gab ja auch schon vor Daniel Craig so etwas wie eine Lizenz zur Selbstreferenz in den Filmen. Das fiel meist lustig und harmlos aus, in „Skyfall“ ist das ungleich schmerzhafter!

          Man kann einen leichten Ton anschlagen und dem Publikum signalisieren, dass schon alles gut werden wird, es ist eben ein Bond-Film; das kann aber auch schief gehen. Meine Herausforderung lag darin: Wie kann ich mit dem Bond-Motiv spielen ohne diesen augenzwinkernden Gestus, alles sei schon okay? Dazu gehört vor allem Timing, denn das beste Gelächter setzt ein, wenn sich eine große Spannung gelöst hat. Das ist wie Ein- und Ausatmen, der Film holt tief Luft, Spannung baut sich auf, man hält die Luft an, und dann ein erleichtertes Ausatmen. Mit der Bond-Figur ist das möglich, bei anderen ist es schwierig. Ich bin ein großer Bewunderer von dem, was Christopher Nolan mit „Batman“ gemacht hat, aber seine Filme sind rücksichtslos ernst.

          Ihre Balance würde sicher auch nicht funktionieren ohne Javier Bardem in der Rolle des Bösen, der in aller Gefährlichkeit auch gezielt überreißt!

          Er hat das unglaublich gut angelegt, immer lächelnd, nie brüllend, ohne Schnarren, Zischen und Toben. Er lacht auch mehr als alle Bond-Schurken.

          Es geht ja auch längst nicht mehr darum, die Welt zu retten, sondern nur noch den britischen Geheimdienst.

          Die Rettung der Welt war ja immer der Vorwand, die Action noch größer, lauter, schneller, blutiger zu machen, aber wenn man Story und Action als nicht trennbar versteht, wird der Film insgesamt flüssiger, und die Story ist nicht bloß dazu da, die Pausen zwischen den Action-Sequenzen zu überbrücken. Weltrettung im Stile von „Ich habe eine Atombombe in meiner Aktentasche“, das hat sich mit Mike Myers und „Austin Powers“ erledigt.

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