Film „Glass Onion“ im Kino : Das zwiebelt gar nicht übel
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Jeder ist verdächtig: Daniel Craig (Mitte) als Detektiv Benoit Blanc Bild: AP
Daniel Craig, von der Bond-Bürde befreit, ermittelt wieder: Regisseur Rian Johnson schickt ihn als Detektiv Benoit Blanc in „Glass Onion – A Knives Out Mistery“ abermals auf Mördersuche.
So mancher hätte sich während der Pandemie eine Überraschung gewünscht, wie sie der Milliardär Miles Bron seinen engsten Vertrauten bereitet: Mitten im Lockdown erhalten fünf Personen eine mysteriöse Rätsel-Box. Wer die zahlreichen Codes knackt, entdeckt eine Einladung auf Brons Privatinsel im Mittelmeer. Unter den Gästen, die schließlich am Bootssteg eines griechischen Hafenstädtchens auf die Fähre zum privaten Refugium warten, findet sich auch der Detektiv Benoit Blanc ein, der zur Verwirrung des Gastgebers nicht geladen war, dessen Hilfe jedoch schnell von Nöten sein wird, denn unter den Anwesenden ist ein Mörder.
Das klingt, von der Pandemiesituation abgesehen, nach dem Standardplot eines Agatha-Christie-Krimis. Und genau das soll es auch. Regisseur Rian Johnson hat sich für „Glass Onion: A Knives Out Mystery“ unter anderem von Christies „Das Böse unter der Sonne“ inspirieren lassen. Wie schon dessen Verfilmung aus dem Jahr 1982 versammelt auch Johnsons Film Hollywoodgrößen, die ihre Rollen so gut spielen, dass man dabei fast die Mini-Gastauftritte von weiteren Stars übersieht.
Er führt das Ensemble beim Enträtseln der Einladungsboxen ein. Wenn Kate Hudson sich als ehemaliges Starlet mit Leslie Odom Jr. als Wissenschaftler und Kathryn Hahn als aufstrebender Politikerin per Gruppenanruf zusammenschaltet, sind die drei im Splitscreen zu sehen; eine Formatspielerei, die zum einen für Tempo sorgt, zum anderen deutlich macht, wer wie tickt. Der Wissenschaftler hat die schnellsten Ideen, das Starlet die schlauesten Gäste (Cellist Yo-Yo Ma erklärt das Prinzip der Bach-Fuge) und wenn Dave Bautista, der hier einen muskelbepackten rechten Influencer spielt, sich dazu schaltet, hört man im Hintergrund die Mutter, in deren Haus er wohnt, entnervt die Lösungen rufen, weil ihr das alles zu lang dauert.
Während sich die vier mit einem Eifer auf die Spielerei stürzen, den nur vom Lockdown gelangweilte Personen aufbringen können, deren Leben mit so viel Geld gepolstert ist, dass sie andere Probleme nicht kennen, sitzen zwei weitere mit ganz anderen Gedanken davor. Die eine wird gespielt von Janelle Monáe, die der Kiste einen langen Blick widmet und sie dann in einer Garage mit dem Hammer zertrümmert, bis die Einladung zum Vorschein kommt. Der andere ist Daniel Craig, der die Rolle des Detektivs Benoit Blanc aus „Knives Out“ (2019) wiederaufnimmt. Ihn ereilt die Einladung in der Badewanne, in die er sich mit Büchern zurückgezogen hat, weil der Pandemie-Stillstand seinen Geist unruhig macht.
„Glass Onion“ ist im Sommer 2021 gedreht worden, als kein Ende der Pandemie in Sicht war. Den kurzen Rückblick auf die Coronasituation beendet Johnson geschickt; vor Betreten der Yacht erhalten alle eine wundersame Injektion und die Versicherung, nun keine Maske mehr zu benötigen. Schlau wie diese Erklärung ist auch der Rest des Drehbuchs, das ebenfalls von Johnson stammt und weit über die Christie-Hommage hinausgeht. Der Krimi ist durch eine satirische Linse gefiltert, verteilt Seitenhiebe an Cancel Culture und Social Media. Auch dass Edward Norton die Rolle des Milliardärs Miles Bron als attraktivere, aber nicht weniger gierige Version Elon Musks anlegt, ist kein Zufall.
Er arbeitet in mehreren Sinnschichten
Johnsons Detailverliebtheit ist bekannt, er arbeitet gern mit mehreren Sinnschichten. So wird dieser Film rasch selbst zu dem, wovon er im Titel spricht: eine kunstvoll zurechtgeschnitzte gläserne Zwiebel, der Titel spielt also nicht nur auf einen Beatles-Song an, der verrätselte Erklärungen zu anderen Beatles-Songtexten zu liefern vorgibt, sondern beschreibt auch das Gebäude der Haupthandlung (Nortons Milliardär hat sich seine Villa in Zwiebelform bauen lassen) und den Film: Wie das Gemüse mit dem Abziehen jedes Häutchens eine neue Gestalt annimmt, viviseziert Johnson die Handlung, lässt sie komplett die Richtung wechseln und zeigt das Geschehene aus einem anderen Blickwinkel, gespickt mit Informationen, die man beim ersten Mal übersehen hat.
Dafür, dass all das sitzt, sorgt ein Team, mit dem der Regisseur zum Teil seit Beginn seines Filmschaffens zusammenarbeitet. Kameramann Steve Yedlin hat ihm bereits dabei geholfen, Ermittlungen an einer Highschool mittels Beleuchtung zu einem modernen Noir-Film zu machen („Brick“, 2005), den Star-Wars-Film „Die letzten Jedi“ (2017) auch visuell aus der Trilogie herausragen zu lassen und bei „Knives Out“ dank ungewöhnlicher Bildausschnitte psychologische Deutungen der Mordverdächtigen zu unterstreichen.
Der Bildaufbau nimmt immer mehr als eine Person in den Blick, man sieht also nicht nur den Handelnden, sondern im Hintergrund immer auch die Reaktion der Anderen. Blicke widersprechen Aussagen, Mimik verrät Mordmotive. Wenn die Kamera zudem die Verdächtigen in der Villa voller Kunst für Sekunden durch Glasskulpturen verzerrt filmt oder zu lange auf dem Sicherheitsglas des Mona-Lisa-Gemäldes verharrt, das sich der Milliardär frech aus dem Louvre geliehen hat, so trägt all das am Ende zur Auflösung des Falls bei. Wie Blanc einmal sagt: „Es ist alles schon vor unserer Nase, wir nehmen es nur noch nicht wahr.“
Kostümbildnerin Jenny Eagan, die ebenfalls schon „Knives Out“ ausgestattet hat, legt weitere Fährten und streut Referenzen ein. So flattert Kate Hudson mit langem Sommerjäckchen und großem Strohhut an den Pool wie es in „Das Böse unter der Sonne“ Diana Rigg als alterndes Starlet tat. Daniel Craig hingegen erscheint in roséfarbenen Baumwollhemden und blaugestreiften Seersucker-Shorts, letztere ergeben in Kombination mit dem dicken Südstaatenakzent eine doppeldeutige Anspielung auf die Arbeiterherkunft des Detektivs.
„Knives Out“ ist es vor drei Jahren gelungen, das Krimigenre „Whodunit“ (etwa: „wer war’s?“) zurück ins Kino zu bringen, nicht per Neuverfilmung eines Klassikers, sondern als neuerlich fruchtbare Idee die so gut war, dass die Stars bei die Besetzung gerne Schlange standen. Mit „Glass Onion“ beweist der Regisseur, dass er aus solchen schönen Ideen immer noch weitere hervorziehen kann.