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„Nur Gott kann mich richten“ : Bruderliebe und Bruderhiebe

Drei Dinge braucht der Mann im Gewalt-Genre: Feuerwaffen, Feinde, Furor. Moritz Bleibtreu hat von allem reichlich. Bild: dpa

„Nur Gott kann mich richten“ will gutes Genrekino machen. Doch der Film mit Moritz Bleibtreu ist nicht mehr als ein blutiger Männerfilm – ohne plausible Handlung.

          2 Min.

          „Seht das Ding nicht zu verkopft, seht es als Genrefilm!“ Özgür Yildirim ist bei der Frankfurter Weltpremiere seines neuen Films „Nur Gott kann mich richten“ gar nicht erst daran interessiert, die Produktion als großes Werk zu preisen. Dafür setzt er aber auf große Gefühle: Bruderliebe, Kindesliebe, Vaterliebe, ja selbst Liebe zwischen Mann und Frau. Und auf große Gewalt: gegen den Bruder, gegen Kinder, gegen den Vater, überhaupt gegen alle Männer und Frauen in diesem Film. Wer von den Hauptfiguren am Ende noch aufrecht stehen kann, lässt sich an einem einzigen Finger abzählen. Dabei ist „Nur Gott kann mich richten“ eher ein Ensemblefilm.

          Andreas Platthaus
          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          Obwohl Moritz Bleibtreu mitspielt und Yildirim ihm das Drehbuch derart maßgeschneidert hat, dass er als einer der wenigen halbwegs zuverlässigen Kassenstars des deutschen Kinos auch gleich als Mitproduzent eingestiegen ist. „Ihr glaubt gar nicht, wie wenig Geld wir hatten“, ruft er dem Premierenpublikum zu, dabei stammt der Film von der Constantin, die dank „Fack ju Göhte“ derzeit im Geld schwimmt. Wohl auch deshalb preist Bleibtreu das deutsche Kino für dessen „gute Komödien“, vergisst aber auch nicht „die guten Arthouse-Filme“. Doch dann fährt er fort: „Was wir nicht haben, ist gutes Genrekino.“

          Literweise Kunstblut

          Diesen Eindruck soll „Nur Gott kann mich richten“ in seinen hundert Minuten korrigieren. Bleibtreu spielt sich darin als mittelkriminellen Ricky ebenso die Seele und viel Kunstblut aus dem Leib wie seine Mitstreiter, darunter mit Birgit Minichmayr und Peter Simonischek zwei Theatergrößen, die aber auch im Kino schon für Furore gesorgt haben (etwa mit „Alle anderen“ und „Toni Erdmann“).

          Simonischek gibt den bereits halbdementen Vater von Ricky, Minichmayr eine alleinerziehende Polizistin, deren Tochter lebensbedrohlich krank ist. Für die illegale Beschaffung eines Spenderorgans braucht die Beamtin Geld, und da kreuzt sich ihre Bahn mit Ricky. Der nämlich hat, gerade nach fünfjähriger Haft freigelassen, eine Tasche voller Heroin in dem Auto, das die Polizistin nachts kontrolliert. Und seinen jüngeren und deshalb erst noch kleinkriminellen Bruder Rafael auf dem Beifahrersitz.

          Gute Schauspieler, wenig plausible Story

          Es kommt, wie es kommen muss, und die Folgen sind tarantinesk. Zumal das Heroin ein paar waschechten Großkriminellen gehört und mit den beiden Brüdern noch deren guter Freund Latif im Bunde ist, ein äußerlich grundgütiger, aber innerlich ungemütlicher Shisha-Bar-Besitzer, dem sein Darsteller Khida Kodr Ramadan mehr als nur eindrückliche Statur gibt. Wie auch Edin Hasanović als Rafael einmal mehr beweist, dass es in Deutschland nicht an guten Schauspielern mangelt, die selbst dann noch glänzen, wenn sie Dunkelmänner in Genrefilmen spielen.

          Und selbst dann noch, wenn das Geschehen leider alles einlöst, was man an Genrefilmen gerne verbessert sähe. Etwa die Plausibilität des Geschehens, das in einer zwar nicht riesigen, aber doch einigermaßen bevölkerten Stadt wie Frankfurt (wo das Ganze angesiedelt ist, hessischer Filmförderung sei Dank) sich die Beteiligten dauernd über den Weg laufen lässt. Es mag den Stadtoberen nicht gefallen, aber die Frankfurter Drogenszene ist einfach etwas zu groß, als dass man beim Heroinverkauf derart zwangsläufig bei dem landete, dem man es gestohlen hat.

          Buddies werden zu Feinden

          Oder die Schauwerte, für die das Geschehen in einen Rahmen eingebettet wird, für den Matthias Bolligers sehr stilsichere Kamera Bleibtreus über und über mit religiösen Symbolen tätowierten Rücken in Gebetshaltung vor einem Kruzifix filmt. Kurz vor Schluss führt uns „Nur Gott kann mich richten“ wieder zu dieser Einstellung. Aber Religiosität spielt dem Titel zum Trotz im Film keine Rolle, außer in ein paar deftigen Dialogen mit eher muslimischem Einschlag.

          Und auch manche Nebenrolle – alle amourös konnotiert: Rickys Ex-Liebe, eine Bar-Bekanntschaft, der geschiedene Gatte der Polizistin – liefert nicht mehr als retardierende Momente. Denn „Nur Gott kann mich richten“ ist ein Männerfilm, und zwar einer, in dem Buddies zu Feinden werden. Obwohl es auch ein Liebesfilm, ist, aber einer, in dem Brüder, Kinder, Väter wichtiger sind als Frauen. Ist das Genre? Ja doch. Ist es gutes Genrekino? Nicht doch.

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