Film-Ausstellung „Katastrophe“ : Welten im Bilduntergang
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New York zittert unterm Eispanzer: So malte sich Roland Emmerichs „The Day after Tomorrow“ eine mögliche Klimakatastrophe aus. Bild: Twentieth Century Fox
Die Ordnung des Spielfilms kämpft mit dem Chaos anders als die Wissenschaft – in der Ausstellung „Katastrophe“ im Frankfurter Filmmuseum lernt man die Unterschiede.
Filme über Katastrophen sind eine ganz eigene Art des Gruselkinos, eine Hybridform aus Horror und Science-Fiction. Sie leihen sich vom Horrorfilm den Griff in die Eingeweide der Zuschauer, wenn sie die Welt durch Naturgewalten (fast) untergehen lassen, und schauen sich bei ihren Science-Fiction-Geschwistern ab, wie man gleichzeitig das Gehirn der Zuschauer anspricht, mit einem „Was wäre, wenn?“, das wissenschaftliche Thesen konsequent bis zum Ende durchdenkt. Dieser Frage des „Was wäre, wenn?“ geht das Filmmuseum Frankfurt in der Ausstellung „Katastrophe“ nach.
Dass es hier nicht nur um die Fiktion geht, sondern auch um die Wissenschaft, wird gleich zu Beginn der Ausstellung klar. Hier steht ein Blitzableiter, 1752 von Benjamin Franklin erfunden, verweist er auf den Beginn der Aufklärung, als die Menschen durch Forschung ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen. Ihm gegenüber prangt das Zitat Max Frischs: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt. Die Natur kennt keine Katastrophe.“ Im umfangreichen Begleitbuch zur Ausstellung nimmt die Literaturwissenschaftlerin Solvejg Nitzke Frischs Zitat als Ausgangspunkt für einen klugen Aufsatz über das Verhältnis von Mensch und Natur. Und auch die Wissenschaftler, die später in der Ausstellung zu Wort kommen, widersprechen Frisch ein wenig: Die Natur mag keine Katastrophen kennen, aber der Mensch ist nicht dazu verdammt, sie hinzunehmen, er kann sich dank Forschung gegen sie wappnen, vor ihnen warnen und Schutzmaßnahmen ergreifen.
Wenn man sich vom Blitzableiter abwendet, führt der Weg durch helle Sperrholzplatten. Sie trennen die einzelnen Stationen der Ausstellung, geben einen Rundweg vor. Mal sind sie mit Plakaten von Katastrophenfilmen behängt, mal zeigen sie die Texttafeln zur jeweiligen Station, mal Drehbuchauszüge, mal bilden sie Boxen, in denen den Filmplakaten die Covergeschichten alter Spiegel-Ausgaben aus fünf Jahrzehnten gegenübergestellt werden. So hängen zwischen den Postern für das Seismologie-Drama „Volcano“ und den Post-Nuklearunfall-Film „Die Wolke“ die journalistischen Schreie: „Hilfe, die Erde schmilzt“ (2008) und „Mörderisches Atom“ (1986).
Hat Godzilla wahre Vorbilder?
Wie weit entfernt sich Kunst von der Realität? Was kann Realität aus Kunst lernen? Solche Fragen erörtern Wissenschaftlerinnen und Forscher des Frankfurter Senckenberg Naturmuseums, das Kooperationspartner für die Ausstellung ist. Die Paläanthropologin Irina Ruf etwa beantwortet die Frage, ob Godzilla wahre Vorbilder hat („Er ist eher ein Wolpertinger aus Krokodil, T-Rex und ausgestorbenen Meeresechsen“) und Biogeograf Thomas Hickler erklärt, wie sich der Klimawandel andeutet. Da auch der Bildschirm, auf dem diese Interviews laufen, nur an der Sperrholzwand hängt, die den Raum mehr optisch als tatsächlich vom Rest der Ausstellung abtrennt, dröhnt über die Forscheraussagen hinweg der Ton der nächsten Videoinstallation.
Das Herz der Ausstellung bildet eine Doppelleinwand, auf der parallel Ausschnitte aus Katastrophenfilmen gezeigt werden. Da wird dem Stummfilm „Hochbahnkatastrophe“ (1921) der Film „Treffpunkt Todesbrücke“ (1976) gegenübergestellt, in beiden gerät ein Zug aus der Bahn. Da prallt gleich zweimal der Planet „Melancholia“ in die Erde, während Lars von Trier dazu Wagners „Tristan und Isolde“-Ouvertüre spielen lässt. Da spült eine Flutwelle über den Himalaja („2012“), und eine andere lässt koreanische Hochhäuser umknicken wie Grashalme („Haeundae“), und New York ist von Eispanzern überzogen („The Day After Tomorrow“).
Wie ein Kommentar zur Pandemierealität
All das geschieht unter Tosen und Dröhnen, sodass die Worte der Wissenschaftler, die vor und nach der Doppelleinwand in den angrenzenden Stationen von kleineren Bildschirmen kommen, manchmal im Lärm untergehen und man den Aussagen nur noch dank der Untertitel folgen kann. Doch auch das mutet in Zeiten, in denen wissenschaftliche Erklärungen gegen viel Lärm ankommen müssen, eher an wie ein Kommentar zur Pandemierealität und nicht wie eine Fehlplanung.
Die Ausstellung hat den Katastrophenfilm analysiert, folgt in ihrem Aufbau den Handlungsmustern; nach der Doppelleinwand mit Bildern der Katastrophe gabelt sich der Weg in zwei Richtungen: Apokalypse und Neuanfang. Im Teil, der sich der Zerstörung der Zivilisation zuwendet, stehen die Sperrholzbretter schon nur noch angelehnt, kaum mehr befestigt herum. Als hätte sie einer der Protagonisten eines Endzeitfilms auf der Flucht ohne Werkzeug hier fallen gelassen – wie etwa die auf der verwüsteten Erde gestrandete Astronautin Blake, deren Kostüme aus dem Film „Tides“ (der demnächst ins Kino kommen soll) hier als Skizzen am Holz hängen. Nur manchmal wirken die Ausstellungsgegenstände etwas assoziativ gestreut.
Etwa wenn hier das Plakat aus dem sowjetischen Film „Briefe eines toten Mannes“ (1986), der durchspielt, wie das Leben in einer vom Atomkrieg zerstörten Welt aussehen würde, durch Fotos des zerbombten Nagasaki und einer zerfallenen Schule in der Gegend um Tschernobyl flankiert wird.
Wer nicht direkt in die Apokalypse abbiegt, landet beim Neuanfang, für den auch die Platten nun zu schmalen, luftigen Rahmen dekonstruiert sind. Besonders das amerikanische Kino erträgt die Katastrophe nur mit Happy End, seine Heldinnen und Überlebenden blicken am Ende über weite Landschaften wie die ersten Siedler und gehen mit einem Lied auf den Lippen dem Neuaufbau entgegen – wie im Erdbeben-Musical „San Francisco“ aus dem Jahr 1936 oder (ohne Lied, aber mit heroischen Worten zum Neuaufbau) in „San Andreas“ (2015). Bevor zu viel Optimismus aufkommt, erhalten das letzte Wort die Wissenschaftler mit solch provokanten Fragen wie: „Gibt es wirklich keinen Planeten B?“
Die Antwort: Doch, aber so weit ist unsere Weltraumtechnik noch nicht. Künstler wie Wissenschaftler haben hier ihre Theorien zum Weltuntergang präsentiert, es liegt an den Besuchern, daraus vernünftige Rückschlüsse zu ziehen.
Die Ausstellung „Katastrophe“ ist noch bis 9. Januar 2022 im Filmmuseum Frankfurt zu sehen. Der Katalog „Katastrophe. Was kommt nach dem Ende?“ ist auf Deutsch und Englisch erschienen, 172 Seiten als Hardcover für 24,80 Euro.