Film „Sisi & Ich“ im Kino : Beschädigte Herzen beim Bodenturnen
- -Aktualisiert am
Adel am Limit: Susanne Wolff (links) und Sophie Hutter, skeptisch beäugt von Sandra Hüller als Irma. Bild: DCM / Bernd Spauke
Frauke Finsterwalders Film „Sisi & Ich“ mit Sandra Hüller setzt einen anderen Ton als viele Sisi-Filme. Er macht mit dem historischen Kaiserinnenstoff etwas leuchtend Neues.
Eine adlige Frau Anfang vierzig hatte gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht viele Optionen. „Entweder heiraten, Kloster oder das hier“, sagt Irmas Mutter, als sie die Tochter herausgeputzt im lachsrosa Puffärmelkleid in einen Spiegelsaal zerrt und ihr dann ins Gesicht schlägt, weil Irma weder auf das Kleid, noch die anstehende Prozedur im Spiegelsaal so recht Lust hat. Irma fügt sich mit blutender Nase, ist „das hier“ doch immerhin ihre Chance, dem Zugriff der Mutter zu entkommen. Denn Irma soll als Gesellschafterin die österreichische Kaiserin begleiten. Dafür ist sie um keine Lüge verlegen – als sie gefragt wird, ob sie denn turne („Am Barren? Am Reck?“), nickt sie geflissentlich: „Ach ja, das mach ich eigentlich ständig.“
Die Lüge wird gleich bei ihrer Ankunft auf Korfu entdeckt, wohin Kaiserin Sisi sich mit ihrer Entourage zurückgezogen hat, um ihrerseits dem Zugriff des Hofes und ihres Ehemannes zu entgehen. Irma kämpft sich schwankend von der Bootsfahrt in der griechischen Mittagssonne den Weg zur großen Villa der Kaiserin empor. Diese lässt den Neuzugang noch im steifen Reisekleid als Erstes über Hürden hüpfen. Irma fällt spektakulär aufs Pflaster. Die Kamera nimmt Irmas Gesicht in die Nahaufnahme, und nur die Zuschauer sehen, wie eine Träne auf die staubigen Steine kullert. Spätestens hier ist man für Irma eingenommen. Und das soll man auch sein, denn immerhin geht es hier um sie, die Heldin, weil Erzählerin des Films, der so heißt, wie nur sie ihn nennen kann: „Sisi & Ich“. Die Kaiserin ist darin nur der Katalysator für eine Selbstfindung. Irma ist zäh, sie muss so einiges einstecken. Die Kaiserin verordnet ihr zum Beispiel eine Diät mit Kokainextrakt und schleppt sie dann auf ihre Wanderungen mit, zieht sie ins Vertrauen, schlüpft sogar nachts bei Gewitter in ihr Bett.
„Es war in ihrer Gegenwart, als habe jemand alles Licht der Welt auf einen gerichtet, und wenn sie es wieder wegnahm, als würde einem ein spitzes Stück Glas ins Herz gerammt“, sagt Irma gleich zu Beginn des Films. Regisseurin Frauke Finsterwalder, die das Drehbuch gemeinsam mit dem Schriftsteller Christian Kracht schrieb (schon für die Sprache lohnt der Kinobesuch), setzt damit einen anderen Ton als viele Sisi-Filme, die jüngst ins Kino oder Fernsehen kamen. Ihr geht es um Macht und Manipulation, um den Kampf zweier Frauen um Liebe, Anerkennung und Freiheit.
Um solche abstrakten Begriffe in anschauliche Kinobilder zu übersetzen, braucht es nicht nur ein gutes Drehbuch, sondern auch Schauspieler, die diese Hürden mit Leichtigkeit nehmen. Irma gibt die großartige Sandra Hüller, deren Spiel trockenste Komik mit einem Hauch Tragik verfeinert. Sie legt die Gräfin Irma als neugierigen, aufopfernden Menschen an, dessen Sehnsucht nach Liebe auf eine manipulative Frau trifft, für die Zuneigung etwas ist, das man verschenkt, bis etwas neues Aufregendes des Weges kommt. Irmas Gegenspielerin ist die ebenso talentierte Sandra Wolff, deren Sisi zwischen Fressorgien und Selbstkasteiung, Langeweile und Lebenshunger pendelt, während ihre Figur keine Rücksicht auf die Menschen um sich herum nimmt, auch, weil sie selbst sich aus den strikten Regeln, die ihr ihre Geburt und die höfische Etikette vorschreiben, zu kämpfen hat.
Dass hier kein Historiendrama erzählt wird, zeigt sich schon an den Kleidern auf Korfu: geradlinige japanische Entwürfe aus Baumwolle und Seide, ohne Korsett, dafür mit plissierten Falten, durch die warmer Wind fährt. Emanzipation als Ausweg aus den gezeigten Verhältnissen wird also nicht in Form pathetischer Reden über die Gestalten gestülpt oder in eine didaktische Handlung gepumpt, sondern findet sich eher in Details wie der Entscheidung, die weiblichen Körper nicht, wie das der dargestellten Zeit entsprochen hätte, anstrengend einzuschnüren, sondern ihnen Luft zu schenken, die sie zum Atmen und Sprechen brauchen. So ist Finsterwalders Sisi weniger die Achse, um die sich ein Kaiserrinnenmärchen dreht, als vielmehr eine für die Gegenwart gedachte Liebesgeschichte über Begehren und Machtspiele, die sich mit historischem Material nicht nur schmückt, sondern es bearbeitet und verwandelt.