Fernsehkonsum : Siebzig Tage im Jahr vor dem Schirm
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Bild: F.A.Z.
Jetzt sind es 210 Minuten geworden, die der Bundesbürger durchschnittlich pro Tag vor dem Fernseher verbringt. Aber es gibt Unterschiede. Und Zusammenhänge, zum Beispiel zwischen Fernsehkonsum und Arbeitslosenquote.
Das neue Jahr beginnt mit einem Rekord. Mit einem traurigen Rekord: 210 Minuten fern sah jeder Bundesbürger im Durchschnitt 2004, und das täglich. Mehr Fernsehkonsum pro Kopf und Tag war nie. Mag der einzelne auch viel weniger oder vielleicht sogar noch mehr fernsehen, so gibt es doch nicht nur einen nationalen Sehschnitt, sondern auch eine regionale Verteilung der Sehgewohnheiten, die von Interesse ist. Nicht alle sehen gleich viel, das ist klar, doch weniger bekannt dürfte sein, daß es auch hier - bei den Durchschnittswerten - ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle gibt sowie eines, das damit zu tun haben dürfte, ob man Arbeit hat oder nicht.
In Sachsen-Anhalt, wo die Arbeitslosenquote 2004 im Schnitt bei 20,3 Prozent lag, saßen die Bürger nämlich 275 Minuten lang vor flimmernden Bildschirmen. 275 Minuten - das bedeutet 1673 Stunden im Jahr oder 70 Tage oder rund 2,3 Monate Fernsehen nonstop. Im bundesdeutschen Vergleich ist Sachsen-Anhalt somit Fernsehsieger. Besonders angesehen sind in den neuen Ländern nach wie vor die dritten Programme (vor allem das des MDR) und RTL. Mit einem Marktanteil von 15,8 Prozent und 15,6 Prozent stehen die Sender hier auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Die ARD folgt mit großem Abstand und 11,3 Prozent, das ZDF mit 11,1 und Sat.1 mit einem Marktanteil von 10,9 Prozent.
Stark in wirtschaftsschwachen Gebieten
Anders die Fernsehvorlieben in den alten Ländern. Dort informieren und unterhalten sich die Zuschauer vorzugsweise bei ARD und ZDF (14,8 und 14,5 Prozent Marktanteil), die Dritten haben 13,4 Prozent, RTL 13,3 und Sat.1 10,1 Prozent Marktanteil.
Doch zurück zum Sehverhalten an sich: Ähnlich hoch wie in Sachsen-Anhalt sind die Zahlen in den wirtschaftsschwachen Bundesländern Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und den Stadtstaaten Berlin und Bremen. Dreieinhalb Stunden Bilderflut sind auch dort längst nicht genug. Dem gegenüber stehen nur 180 Minuten Fernsehvergnügen in Bayern (6,9 Prozent Arbeitslosigkeit), weniger als überall sonst.
Wo es keine Arbeit als Sinnstiftung gibt, scheint das Bedürfnis aus naheliegenden Gründen besonders groß, sich lieber stundenlang in neue Lebenswelten zu flüchten, als Zeit auf die eigene zu verwenden. Was sonst, könnte man fragen, soll man den ganzen Tag über denn auch tun? Die meisten Freizeitbeschäftigungen sind teurer als Fernsehen. So kann eine Gewohnheit zur Sucht werden, und leise gesellt sich zur Parallelgesellschaft die Parallelwelt.
Das Alter sieht fern
Für die Fernsehanstalten brechen rosige Zeiten an, denn es sinkt nicht nur die Arbeitslosenquote nicht, wie es der Bundeskanzler vor Jahren doch mal versprochen hatte - den täglichen Fernsehmarathon bestreiten meist ältere Menschen, und von denen gibt es ja bekanntlich immer mehr. Die ambitionierten Verjüngungsversuche der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die nach einem Publikum zwischen vierzehn und neunundvierzig jagen, kommen zu spät und sind im Grunde überflüssig. Warten, bis die, die heute fünfzig Jahre und älter sind, das Bild der Republik vollends bestimmen. Allzu lange dauert es ja nicht mehr.
So kann sich die ARD mit einem Altersschnitt ihrer Seher von 58 bis 62 Jahren entspannt zurücklehnen und sich über einen Marktanteil von 14 Prozent freuen, der sie bereits jetzt zum Tabellenführer macht. Die Übertragungen von der Fußball-Europameisterschaft in Portugal und den Olympischen Sommerspielen in Athen im vergangenen Jahr haben an diesem Ergebnis großen Anteil. Allein rund 24 Millionen Zuschauer verfolgten das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Tschechien, die Abschlußfeier in Athen sahen Ende August etwa zehn Millionen Zuschauer. Solche Programme laufen bundesländer- und generationenübergreifend. Olympische Sommerspiele und Fußball-Europameisterschaften finden in diesem Jahr zwar nicht statt, doch scheint der durchschnittliche Fernsehkonsum generell anzusteigen. Das läßt besonders für 2006, das Jahr, in dem um die Weltmeisterschaft gespielt und eine neue Bundesregierung gewählt wird, für das Fernsehen einiges erwarten.