Fernsehen : Ich schließe die Augen
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„Sorry, aber ich muß doch”: Kerner Bild: dpa
Bei Johannes B. Kerner debattierte am Dienstag abend eine Engel-Dolmetscherin mit einem Fernsehpfarrer und einem Frisör: Volksverdummung im Gewand der informationellen Grundversorgung.
Das war keine Sternstunde der Aufklärung am Dienstag abend beim Mann des Wortes Kerner. Das war ein Schlag ins Kontor der öffentlich-rechtlichen Rationalität. Das war Volksverdummung und Schleichwerbung im Gewand der informationellen Grundversorgung. Wenn das einreißt, wird uns demnächst jeder Humbug als kritische, öffentlich-rechtlich abgestempelte Information verkauft werden können. Wenn es so etwas wie eine öffentliche Vernunft gibt, dann wurde sie Dienstag abend mit Engelszungen verspottet.
Spiritisten waren unter sich. Die Protagonisten: die „Engel-Dolmetscherin“ Alexa Kriele, der „Sterbeforscher“ Bernard Jakoby, der „Fernsehpfarrer“ Jürgen Fliege, der „Star-Frisör“ Uwe Walz. Keiner, der ihre Sitzungen aus dem Jenseits im Diesseits einmal kurz unterbrochen hätte. Keiner, der die ebenso diskutierfähige wie diskutierbedürftige Frage aufgeworfen hätte: Frau Kriele, ein Scharlatan im Engelsgewand? Keiner, der sich als Anwalt einer Stimme der Vernunft versuchte. Ein Totalausfall bei Kerner. Oder ist der Ausfall in Wirklichkeit der Einfall, auf dem die ganze Sendung beruht?
Aber Sie verstehen
Es hat bei Johannes B. Kerner Methode, daß er sich entschuldigt. Kein Moderator des deutschen Fernsehens sagt so oft, nachdem er einem seiner Gäste eine Frage gestellt hat: „Ich entschuldige mich für diese Frage“, um dann hinzuzufügen: „Aber Sie verstehen, ich muß diese Frage stellen.“ Mit dieser Sorry-Strategie gibt sich Kerner den Nimbus des hart nachfassenden Rechercheurs, eines Arztes der öffentlichen Vernunft, der das Ganze des Gemeinwesens im Blick hat, während er die Details der lebensweltlichen Sparten - wie es seinem Bildungsauftrag entspricht - mit ruhiger Hand ans Licht der Öffentlichkeit bringt.
„Sorry, aber ich muß doch“ - das soll nichts anderes vorgaukeln als dies: Hier sitzen Sie, lieber Zuschauer, in einer Informationssendung, in der es mit der gebotenen öffentlich-rechtlichen Ausgewogenheit und Unerbittlichkeit zugleich um die Grundversorgung mit Wissenswertem aus Politik, Wirtschaft und Kultur geht. „Sorry, aber ich muß doch“ bedeutet: Der Zuschauer, der bei der Kerner-Runde reinguckt, soll auf den ersten, zweiten und dritten Blick keinen kategorialen Unterschied feststellen können zu den Runden bei - sagen wir - Christiansen & Illner.
Politische Camouflage von Unterhaltung
Daß dieses Kalkül aufgeht, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die politische Klasse zehnmal lieber bei Kerner oder - wie zuletzt der Kanzler - bei Beckmann ihre Nachrichten los wird als in den etablierten politischen Sendeformaten. Die Interessen der Politiker treffen sich hier an einem strategischen Punkt mit denen ihrer Moderatoren: Man betreibt politische Camouflage von Unterhaltung. „Sorry, aber ich muß doch“ - das ist das Panier, unter dem die Irreführung des Zuschauers Methode annimmt.
Mit Alexa Kriele, Bernard Jakoby und Jürgen Fliege ist diese Strategie eskaliert. Die drei tauschten sich einträchtig über die Stimmen der Engel aus, die Frau Kriele hört und für Ratsuchende dolmetscht, welche beispielsweise wissen wollen, wie es ihren verstorbenen Verwandten im Jenseits geht. „Ich schließe die Augen, dann sehe ich mehr“, sagt Frau Kriele. „Ich ziehe mich innerlich zurück und beobachte und höre zu, was der Engel vermittelt. Und das fasse ich in Worte.“
Eingebung eines Engels
Jakoby, Fliege, Kerner hören der öffentlich-rechtlichen Selbstanpreisung von Buch und Beratungsstunden in Sachen Engeldolmetschen ergeben zu. Fliege, der als „Pfarrer“ längst schon der Oberschamane des Öffentlich-Rechtlichen ist, assistiert mit der Bemerkung, Frau Kriele habe ihm selbst schon etwas über einen verstorbenen Freund erzählt, was sie unmöglich wissen konnte - wenn da eben nicht die Eingebung eines Engels gewesen wäre. Der Star-Frisör vermag Gleiches zu berichten.
Und Frau Kriele aktualisiert dann die Tradition des Spiritismus bei Kerner wie folgt: „Es ist eine Hochspannung, es ist ungeheuer schön. Man fühlt sich hinterher, als hätte man Champagner getrunken. Es ist motivierend, aber auch anstrengend.“ Das bürgerliche Setting - hört man bei Kerner da ein leises Aufatmen? - bleibt vom Jenseits unberührt: „Ich versuche, mich schnellstmöglich wieder zu erden. Nach einer Stunde gehe ich abwaschen, kochen, helfe den Kindern bei den Hausaufgaben oder füttere den Hund.“ Doch wer erdet den Zuschauer, der am Ende meinen muß, er habe einer Informationssendung zum Thema Nahtod beigewohnt?
Kerner wird sagen: Ich entschuldige mich für die medienrechtliche Realität. Aber Sie verstehen, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Tatsächlich firmiert der Volksinformant Kerner in der Sparte Unterhaltung. Er ist damit nicht an die Standards gebunden, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (zumindest auf dem Papier und damit im Zweifel rechenschaftspflichtig) für Sendungen des Anspruchs gelten, die er de facto doch erhebt - Standards der Ausgewogenheit und kritischen Distanz. Kerner zehrt vom Prestige, das das Öffentlich-Rechtliche vor den Privaten in puncto Information immer noch genießt, ohne vergleichbar rechenschaftspflichtig zu sein. Er sitzt mit seinem Informationsanspruch in der Enklave der Unterhaltung. Von dort aus lehrt er uns - sorry - das Fürchten.