„Ender’s Game“ im Kino : Kindercasting für den Computerkrieg
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Das Drama des begabten Killers: Colonel Graff (Harrison Ford, links) und sein Klassenprimus Ender Wiggin (Asa Butterfield) an der Pforte der Schwerelosigkeit Bild: obs/Constantin Film
Massenmord als Reflextest, Unschuld als Voraussetzung des effektiven Imperialismus: Gavin Hood hat Orson Scott Cards abgründigen Roman „Ender’s Game“ mit Asa Butterfield, Ben Kingsley und Harrison Ford verfilmt.
Wie sieht ein Stratege aus, wenn Invasionspläne oder die flächendeckende Verheerung von Ballungszentren mit Clusterbomben nicht mehr von internationalen materiellen Kräfteverhältnissen, sondern vom Informationsfluss abhängen? Welche Feldherren begreifen ihre Nervenbahnen als Verlängerung von Glasfaserkabeln, ihre Fingerkuppen auf Touchscreenfeldern als ballistische Sonden, ihre elektrischen Hirnimpulse als Signale der Drohnenlenkung?

Redakteur im Feuilleton.
Große dunkle Augen, ein blasser, kleiner, aber schöner Mund, eine glatte Stirn, weiche weiße Haut, unter der sich die Äderchen abzeichnen. Der Junge bewegt sich sparsam, in diesem Kinderkörper steckt ein Erwachsener, der eigentlich kein Kommando führen will, wozu ihn aber wirkliche Erwachsene abrichten: Das ist Andrew „Ender“ Wiggin, gespielt von Asa Butterfield, der hier in beklommener Zurückhaltung wie beklemmender Präsenz noch stärker beeindruckt als in Martin Scorseses künstlerisch freilich komplexerem „Hugo Cabret“.
Erstaunlich richtige Prognosen
Der Schriftsteller Orson Scott Card hat Ender erfunden und seine Geschichte als „Ender’s Game“ (1985) erzählt. In diesem Buch riskierte Card einige erstaunliche Voraussagen, die sich seither schlagend bestätigt haben - Enders Geschwister zum Beispiel nutzen Computernetze, um die öffentliche Meinung in zivilen und militärischen Angelegenheiten zu beeinflussen; Card leistete sich seinerzeit einige ausführliche Abschweifungen, in denen er darlegte, dass in solchen Netzen Enthüllungen, Desinformations-Bulletins und Demagogie im Schutz der Anonymität schneller als jeder Zeitungsartikel lanciert werden könnten.
Gavin Hoods Filmversion lässt diese Prophezeiung der Blogosphäre samt vertiefenden Exkursen weg - eine kühne Entscheidung, die ihn aber ehrt, weil sie belegt, dass er, anders als viele im Science-Fiction-Fach aus modischen Motiven dilettierende Filmschaffende, genau weiß, auf was für ein Genre er sich mit diesem Projekt eingelassen hat: Das Entscheidende an guter Science-Fiction ist, wie bei aller Phantastik, eben nicht, dass sie von Ampeln und U-Booten weiß, bevor ihr Publikum es damit zu tun bekommt, sondern dass sie spezielle (in ihrem Fall: technologische) Metaphern für sozialpsychologische Erfahrungen findet und ausgestaltet, die dieses Publikum schon macht, aber noch nicht benennen kann.
Kein Halt, nirgends
Schwerelosigkeit zum Beispiel: Wenn Ender und seine Mitkadetten und -kadettinnen durch das Herz der Akademie fallen, sich dabei voneinander abstoßen oder aneinander festhalten, dann ist das ein unmittelbar den Orientierungssinn ansprechendes Gleichnis dafür, dass Lehrjahre gleichsam freigestellt von sozialer Produktion und Reproduktion stattfinden, dass Kinder „noch keine Richtung haben“. Lebt man nun allerdings in einem Gemeinwesen, das sich dem ständig erneuerten Datenstand des Augenblicks als einem Wertpegel für alles und jedes, auch den einzelnen Menschen, verschreibt, so beansprucht die Lehrzeit das ganze Leben - aus der Ausnahmesituation des freien Falls wird der Normalzustand: kein Halt, nirgends.
Die Erwachsenen unterscheiden sich von den Kindern in einer solchen Welt dann nur noch dadurch, dass die gehetzte Existenzform der ständigen Selbstoptimierung sie müde gemacht hat, ziemlich zynisch, sehr einsam und, wenn sie nicht dumm sind, melancholisch. Ben Kingsley als körperlich geschmeidiger, seelisch verhärteter Kriegsheld und Ausbilder, der seinem Schüler einbimst: „Es gibt keinen Lehrer außer dem Feind“, ist in Hoods Film die kalte Version dieser Sorte Reife, Harrison Ford als Rekrutierungsoffizier Colonel Hyrum Graff die heiße.