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Murakami-Verfilmung : Auf dem Rücksitz der Erinnerung

„Drive My Car“ ist ein Film, der mit seinem Drehbuch macht, was andere mit hundert Millionen Dollar machen. Er bringt eine Ge­schichte in Gang. Bild: Janus Films and Sideshow

Zwei Geschichten von Haruki Murakami verschmelzen in „Drive My Car“ zu einer Geschichte über Liebe, Betrug, Trauer und die Aussöhnung mit dem eigenen Leben.

          4 Min.

          Zwei Menschen im Auto, ein Mann und eine Frau. Er sitzt hinten. „Fahren Sie mich irgendwo hin“, sagt er, „an einen Ort, der Ihnen gefällt.“ Sie fahren durch die Stadt bis zu einem schachtelartigen, silbrig glänzenden Riesenbau. Es ist die Müllverbrennungsanlage von Hiroshima, eine der mo­dern­sten Anlagen der Welt. „Sieht es nicht aus wie Schnee?“, fragt Misaki, die Fahrerin, als sie durch ein Glasfenster in die Halle schauen, in der die Plastikabfälle sortiert werden. „Warum haben Sie mich hierher­ge­bracht?“, entgegnet Herr Kafuku. „Nach dem Tod meiner Mutter bin ich hierher ge­zo­gen“, sagt Misaki. „Damals habe ich eine Zeit lang Mülllaster gefahren.“

          Andreas Kilb
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

          Man kann Literatur nicht verfilmen. Man kann nur ihre Essenz, ihren besonderen Blick aus den Büchern in die Bilder übertragen. Diese Essenz liegt nicht in den Wörtern, sondern zwischen ihnen. Es hilft deshalb wenig, zu wissen, dass der Film, aus dem die Szene in der Müllverbrennungsanlage stammt, nach einer bestimmten Erzählung von Haruki Murakami entstanden ist. Denn eine Murakami-Verfilmung kann auch dann gelingen, wenn sie sich nicht an die Buchstaben ihrer Vorlage hält – vielleicht gerade dann. „Drive My Car“ von Ryusuke Hamaguchi ist eine der allerbesten Murakami-Verfilmungen, weil sie dem berühmten Erzähler sowohl treu als auch untreu ist, indem sie zwei seiner Geschichten, die auf dem Papier nichts miteinander zu tun haben, verbindet.

          Aus der Erinnerung in die Zukunft

          Die eine Geschichte heißt „Drive My Car“. Sie handelt von einem Mann, der seinen Führerschein verliert und deshalb ei­ne Fahrerin anheuert; unterwegs erzählt er ihr von seiner verstorbenen Frau und ihren Liebhabern. Die zweite Geschichte, „Scheherazade“, dreht sich um eine junge Pflegerin, die ihrem älteren Liebhaber nach dem Sex Geschichten erzählt; eine handelt da­von, wie sie ins Haus ihrer ersten Schulliebe einbricht und dort bewusst Spuren hinterlässt. Beide Erzählungen stammen aus dem Band „Von Männern, die keine Frauen haben“. Ryusuke Hamaguchi, der Regisseur, und sein Ko-Autor Oe Takamasa haben die zweite Erzählung in die erste eingebaut, wie man einen Automotor in ei­ne Ka­rosserie einbaut. Der Film „Drive My Car“ handelt deshalb nicht nur von einem Wa­gen, einem hellroten Saab 900 Turbo, er ist auch selbst ein Vehikel, das aus der Erinnerung in die Zukunft fährt.

          Die Frau aus Murakamis zweiter Erzählung ist in der Verfilmung die Ehefrau von Herrn Kafuku. Von ihr, ihrem Mann und ihren Liebhabern handeln die ersten fünfundvierzig Minuten des Films; erst dann, nach einem Zeitsprung von zwei Jahren, läuft der Vorspann. Oto und Yusuke Kafuku, so erfahren wir, hatten ein Kind, eine Tochter, die mit vier Jahren starb. Sie schlafen noch miteinander, und Oto, eine Drehbuchautorin, erzählt ihre Geschichten, doch sie trifft auch andere Männer. Eines Tages kommt Herr Kafuku überraschend nach Hause und sieht sie in der Umarmung ei­nes jungen Schauspielers. Ta­ge später bit­tet sie ihn um ein klärendes Gespräch, aber am Abend ist sie tot, gestorben an ei­nem Hirnschlag. Ihre letzte Geschichte, der Einbruch ins Haus ihres Schulfreundes und seine Folgen, bleibt ein Fragment.

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