Film-Hommage an Michael Althen : Kino als Möglichkeitsform des Lebens
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Ich schau dir in die Augen: Der Filmkritiker Michael Althen (1962 bis 2011) Bild: Zorrofilmverleih
Dominik Graf hat dem frühverstorbenen Filmkritiker Michael Althen einen Film gewidmet: „Was heißt hier Ende?“ ist mehr als nur der erwartbare Abschied von einem Freund.
Ein früher Tod setzt ein ganzes Leben in den Konjunktiv. Was wäre gewesen, wenn? Hätte es anders kommen können, falls? Der Journalist und Autor Michael Althen starb 2011 im Alter von 49 Jahren. Er war damals Redakteur dieser Zeitung und einer der profiliertesten Filmkritiker des Landes. Es war und bleibt ein Verlust, den auch viele Menschen auf eine eigentümliche Weise verspüren, die Althen nie persönlich kennengelernt haben.
Sein Schreiben war geprägt von einem einbeziehenden Gestus. Seine Autorität kam nicht vom Urteilen, sondern daraus, dass er seine Erfahrungen nachvollziehbar machte. In ein „Kinematographisches Quartett“ hätte er gepasst, schon seiner unvergesslichen Stimme wegen, aber die Zuspitzung, zu der die Medienlandschaft ihre Proponenten immer stärker zwingt, verwandte er lieber auf die genaue Beobachtung von Kleinigkeiten, die ihm Aufschluss über das Ganze gaben - des Kinos und der Welt.
Ein Film für einen Kritiker?
Diejenigen, die ihn näher kannten, wissen auch noch von einem anderen Charisma zu erzählen: Er war, bei aller Introvertiertheit, ein großer Freund. Eine dieser Freundschaften verband ihn mit dem Filmemacher Dominik Graf. Sie ging weit über das Gespräch hinaus, das immer wieder Künstler und Kritiker verbindet. Graf und Althen haben auch gemeinsam Filme gemacht, zum Beispiel „München - Geheimnisse einer Stadt“ (2000). Und in gewisser Weise ist auch der Film, mit dem Dominik Graf sich nun von seinem Freund Michael Althen verabschiedet und mit dem er ihn gleichzeitig in das schmerzlich tröstliche Präsens des Kinos versetzt, eine Gemeinschaftsarbeit: „Was heißt hier Ende? Der Filmkritiker Michael Althen“ beruht nämlich zu einem gewichtigen Teil auf Material, das sich in der Hinterlassenschaft vorfand.
Zum Beispiel Teile eines nie fertiggewordenen Films, an dem Althen gemeinsam mit seiner Frau Beatrix Schnippenkoetter arbeitete. Er galt dem Maler Nicolas de Staël, der 1955 in Antibes aus dem Leben sprang. Eine Szene wie aus einem Film, eine Szene, deren filmische Beschwörung den Auftakt zu Dominik Grafs Film bildet. Es sind Momente wie diese, die „Was heißt hier Ende?“ eine zwanglose Plausibilität verleihen, so dass eine naheliegende Frage von Beginn an nie wirklich aufkommt: Lohnt es wirklich, bei aller Freundschaft, über einen Vertreter der lohnschreibenden Zunft, über einen Journalisten, der (bevorzugt zu spätnächtlicher Stunde) für den Tag und nicht die Ewigkeit schrieb, einen, der mit den Tücken der vorgezogenen Nachrufen haderte und dann doch im Zweifelsfall professionell dachte, einen ganzen Film zu machen und ins Kino zu bringen?
Ein Leben im gemäßen Konjunktiv
Darauf könnte man zweifach antworten: Im Grunde ließe sich so ein Film über jeden einzelnen Menschen machen, vorausgesetzt, eine einfühlsame und kluge Person sucht nach dem Erzählenswerten in einem Leben. Jemand wie Dominik Graf oder Tom Tykwer oder Christian Petzold, die alle in „Was heißt hier Ende?“ zu sehen sind. Aber nur am Beispiel besonderer Menschen werden wir uns dieser allgemeinen Würde bewusst, die der Tod dem Leben verleiht.
Diese unverwechselbare Individualität vermittelt „Was heißt hier Ende?“ auf eine berührende Weise, ungeachtet dessen, dass es sich gleichzeitig und unausweichlich auch um einen Szene- und Insiderfilm handelt; ein nicht geringer Teil des journalistischen Establishments der Republik tritt auf. Michael Althen gehörte selbstverständlich dazu, aber auf eine distanzierte Weise. Auch die filmkritischen Debatten, die Dominik Graf gegen Ende mehr als nur streift, weil er sich wie nur ganz wenige Regisseure des deutschen Kinos auch eminent für das Schreiben und Sprechen darüber interessiert, sie helfen hier; genau genommen; nicht weiter - sie berühren Althen und seine Beziehung zum Kino nicht wirklich.
In dieser Beziehung lag wohl das Geheimnis seiner Distanziertheit, eines Lebens in einem ihm sehr gemäßen Konjunktiv, das er auf unnachahmliche Weise mit dem Publikum teilte. Zum Beispiel mit der Geschichte, in der der junge Michael Althen die Schauspielerin Jacqueline Bisset zum Interview trifft. Am selben Abend sieht er sie noch einmal bei einem Empfang, nun steuert sie zielsicher auf ihn zu und steckt ihm eine Visitenkarte zu. Darauf steht eine Telefonnummer in Los Angeles. Eine Telefonnummer ist eine Möglichkeit, die man zerstört, wenn man sie wählt. Von diesen Paradoxien wusste Michael Althen eine Menge, und der Film von Dominik Graf teilt dieses Wissen.