Grafs „Fabian“-Verfilmung : Sei ein Mann und schwimme mir nicht nach
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Das sachliche Liebespaar: Saskia Rosendahl und Tom Schilling Bild: Lupa Film/Hanno Lentz
Dominik Graf hat Erich Kästners Zeitroman „Fabian“ von 1931 verfilmt. Aus dem sachlichen Helden der untergehenden Weimarer Republik wird ein sentimentaler Liebender von heute. Das führt zu starken Kinomomenten, geht aber an dem Buch vorbei.
Wenn man die Karriere des Regisseurs Dominik Graf betrachtet, fragt man sich, warum er nicht längst alle wichtigen Filmpreise dieser Welt gewonnen hat. Schließlich hat Graf den deutschen Thriller neu erfunden (1988 mit „Die Katze“), den „Tatort“ (1995 mit „Frau Bu lacht“), die Fernsehkrimiserie („Im Angesicht des Verbrechens“) und den Kostümfilm („Die geliebten Schwestern“). Er hat die Nouvelle Vague im deutschen Kino fortgesetzt und der Digitaltechnik eine Gasse gebahnt. Dass ihm dabei die Zuschauermassen selten gefolgt sind, ist kein Argument gegen Grafs Brillanz. Schließlich erreicht auch Wim Wenders nur noch dann ein größeres Publikum, wenn er Dokumentarfilme über den Papst dreht.
Aber es gibt auch eine Kehrseite, oder besser: eine Begleiterscheinung des Könnertums, wie es Graf verkörpert. Leute wie er sind im deutschen Film prinzipiell einsam, nicht nur, weil ihnen kaum ein Kollege das Wasser reichen kann, sondern auch, weil die Strukturen der Branche nicht auf sie eingerichtet sind. Das Fernsehen und die Filmfördertöpfe, die hierzulande das Produktionsgeschehen bestimmen, bevorzugen eingängige Themen und sendefähige Formate. Grafs neuer Spielfilm „Fabian“, die Adaption des gleichnamigen Romans von Erich Kästner, ist dagegen im alten Fernsehformat 1,37:1 gedreht, das die Sender längst abgeschafft haben, und dauert drei Stunden. Um diese ungewöhnliche Form und Länge durchzusetzen, musste Graf, wie so oft schon, beim Budget Abstriche machen. Doch das ist nicht der Grund dafür, dass „Fabian“ nicht der ganz große Film geworden ist, den man sich ein weiteres Mal von ihm erhofft hatte. Dieser Grund hat mit dem Buch selbst zu tun – mit dem, was es ist, und dem, was Dominik Graf daraus gemacht hat.
Kein Kostümfilm, sondern Geschichte als Gegenwart
Dabei ist der Anfang von „Fabian“ grandios, eine der stärksten Setzungen, die das deutsche Kino in den letzten Jahren gemacht hat. Die Kamera gleitet in den Berliner U-Bahnhof Heidelberger Platz hinunter, es ist hier und heute, Fahrgäste steigen aus dem Zug, durchqueren die Tunnelröhre zum hinteren Aufgang, das Kameraauge folgt ihnen, erklimmt die Treppenstufen und betritt das Jahr 1931. Fabian (Tom Schilling) lehnt am Geländer, ein Kriegskrüppel spricht ihn an und zeigt sein verstümmeltes Gesicht, eine Plakatsäule wirbt für Tanzlokale, dann sind wir in einem Nachtclub, Paare drehen sich zur Musik, eine Dame mit Bubikopf wirft sich Fabian an den Hals, und so tauchen wir in die Zeit der Erzählung ein.
In diesem Auftakt steckt Grafs ästhetisches Programm. „Fabian“ will kein Kostümfilm sein, er will die Geschichte nicht historisieren, sondern in die Gegenwart hineinreißen, und deshalb fegt er so gut wie alle Konventionen beiseite, in denen sich das klassische Erzählkino und das neue Serienfernsehen eingerichtet haben. Die Bilder sind mit digitaler Handkamera und Super-8-Kameras aufgenommen und so gegen den Strich montiert, dass das Auge es sich in ihnen nie so gemütlich machen kann wie in den geglätteten Szenarien von „Babylon Berlin“. Auch die Schauplätze verweigern sich den gewohnten Standards, mal wirken sie besonders erlesen wie die neusachlich ausstaffierte Villa, in der Fabians Freund Labude aufgewachsen ist, dann wieder rabiat ahistorisch wie das Café, in dem einige Schlüsselszenen der Handlung spielen.
Einmal fährt Fabian in den Potsdamer Vorort Babelsberg, wo seine Freundin Cornelia (Saskia Rosendahl) für einen Film vorspricht. Auf der Flucht vor dem Schmerz, den ihr Auftritt in ihm auslöst, verläuft er sich in den Außenbauten des Studios, er irrt durch Western-, Tempel- und Nibelungenstädte, bis sich hinter der letzten Fassade eine leere Brache vor ihm auftut. So inszeniert der Film seine eigene Angst vor der Kulissenhaftigkeit, dem Ersticken im Dekor, das jede Literaturverfilmung bedroht. Aber seine Antwort darauf ist nicht die Ödnis einer gewaltsamen Aktualisierung, sondern ein historisch aufgeweckter Blick auf den Stoff.