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Cutterin Patricia Rommel : Gut ausgemustert ist halb geschnitten

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Bei „Das Leben der Anderen“ konnte sie sich austoben, bei „Im Winter ein Jahr“ hätte sie noch nach der Premiere am liebsten was geändert: Die Cutterin Patricia Rommel spielt mit Bildern, Tönen und Musik. So lange, bis eine Geschichte daraus wird.

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          Im Februar haben wir den letzten Schnitt von „Im Winter ein Jahr“ gemacht. Gerade war Premiere. Obwohl ich jetzt nichts mehr ändern kann, bin ich aufgeregt, spüre jede Regung im Publikum. Das steigert meine Wahrnehmung noch, ich bemerke Stellen, an denen die Musik zu viel ist; mindestens einen Dialog hätte ich früher abschneiden sollen. Aber irgendwann sollte man loslassen.

          Nie hatte ich geplant, zum Film zu gehen, nie von Sternen geträumt. Nach dem Abitur zog ich von Paris nach München und studierte Sprachen. Ich half als Synchronsprecherin aus, schnitt Tonspuren und 1982 meinen ersten Film. Als Autodidaktin wuchs ich in diese Welt hinein; der Erfolg von „Jenseits der Stille“ 1995 hat auch mir Türen geöffnet. Cutter, Editor oder Schnittmeister nennt man uns. Die treffendste Bezeichnung für meine Arbeit ist Montage, denn ich baue Bilder, Töne und Musik zusammen, bis sie eine Geschichte erzählen und Emotion vermitteln.

          Der Film ist mein Werk, und doch ist er das nicht

          Ich betrachte mich auch als Lehrerin. Der Film kommt zu mir wie ein Schulkind, ein kleiner Mensch mit Charakter und Vergangenheit. Seine Eltern, Regisseur und Autor, haben ihn geformt. Ich helfe, ihn zu erziehen, will ihm das Beste von mir mitgeben. Wenn es zu Streit kommt, muss ich mich dem Wunsch der Eltern fügen. Schließlich ist es deren Kind, und ich bin nur die Lehrerin.

          Sie tut es nicht fürs Rampenlicht: Cutterin Patricia Rommel
          Sie tut es nicht fürs Rampenlicht: Cutterin Patricia Rommel :

          Es hat etwas gedauert, bis ich das akzeptierte und nicht mehr aufsprang, weil mir die Tränen kamen, wenn ich meinen Willen nicht durchsetzte. Ich bin nicht die einzige Kreative im Team; wenn ich das sein wollte, müsste ich Maler werden, ein Maler trägt die Verantwortung für seine Kunst allein. Der Film ist mein Werk, und doch ist er das nicht.

          Wer will schon verwirren, wenn er nicht David Lynch heißt?

          Caroline Link, deren vier Kinofilme ich schnitt, zuletzt „Im Winter ein Jahr“, ist eine starke Person, sie weiß, was sie will. Wir kennen uns, seitdem ich in ihrer Klasse an der Münchner Filmhochschule den Schnitt betreute, und wir sind nicht nur Kollegen, sondern Freunde. Lange diskutieren wir, wenn ich auf eine Szene verzichten will, weil ich finde, dass sie die Dramaturgie bremst, und sie auf ihr besteht. Sie muss mit ihrem Namen dazu stehen. „Es ist mein Film“, sagt sie dann, und die Szene bleibt drin. Bevor ich mit der Arbeit beginne, richte ich meinen Schnittplatz ein; für mich ist er eine Kunstwerkstatt, in der ich Monate verbringe. In London, wo ich gerade „The Last Station“ von Michael Hoffman schneide, einen Film über den Ehekrieg von Tolstoj, habe ich auf hässliche Stellen im Raum Muscheln geklebt und Cutter-Weisheiten an eine Pinnwand gehängt. „Don't bore, don't confuse“ steht auf einem Post-it; wer will schon langweilen, wer will schon verwirren, wenn er nicht David Lynch heißt und das zu einer Tugend macht, also erzähl spannend und nachvollziehbar.

          Anfangs werde ich oft allein gelassen. Der Regisseur ist nach Drehschluss zu Recht in den Urlaub gefahren, und ich sehe mir mehrmals das Material an; bei „The Last Station“ werde ich aus fünfzig Stunden einen 120-minütigen Film machen. Ich bin jetzt diejenige mit Distanz zu den Bildern, hänge nicht an einzelnen Einstellungen wie der Regisseur, weil ihn vielleicht die Stimmung am Drehort faszinierte.

          „Das Leben der Anderen“ gab mir Raum, mich auszutoben

          Gut ausgemustert ist halb geschnitten. Sichten kann ich am besten nachts, wenn es ganz still wird. Mit Drehbuch und Stift sitze ich da und wähle aus den Takes aus. In der Regel ist eine einzige Szene mehrmals gedreht, Totale, Nahaufnahme, der ganze Körper, nur die Schulter. Als ich das Material für „Das Leben der Anderen“ zum ersten Mal sah, kam mir alles grau-grün vor, alles eng. Viele Gesichter, kein Horizont, keine Landschaftstotale, die dem Film Zeit zum Atmen gibt, sondern Verhöre und die Situationen, wenn der Stasi-Agent auf dem Dachboden sitzt und in die Wohnung lauscht. Gespräche. Zuhören. Blicke. Ich dachte, Florian Henckel von Donnersmarck hätte mir ein Kammerspiel mitgebracht.

          Florian aber hatte sehr viele Einstellungen gedreht, das gab mir Raum, mich auszutoben. Wir brachen den Rhythmus auf, nicht Satz und Gesicht, eins, zwei, Schnitt. Gesicht und Satz, eins, zwei, Gegenschnitt. Wir spielten mit der Musik, entschieden uns für Blicke anstelle von Dialogen, nahmen Bilder, die woanders geplant waren, und verzichteten auf jene, die ausuferten. Für das Ende etwa hatte Florian Dialoge gedreht, die die Situation direkt nach der Wende erklärten. Jetzt wird viel weniger geredet, dennoch versteht man alles. Durch die Montage konnten wir atmosphärisch sehr dicht werden.

          Einige Regisseure kann ich heute leichter trösten

          „Wenn ein Schauspieler gut ist, weiß man, der Editor hat einfach seinen Job gemacht“, diesen Satz prägte ein Kollege von mir. Das stimmt nicht ganz. Klar kann ich dem Schauspieler helfen, wenn ich nicht gerade den Take nehme, bei dem ich spüre, dass seine Konzentration nachlässt. Doch ein Cutter ist nur so gut wie das Material, das er bekommt. Ulrich Mühe etwa war sensibel, unglaublich konzentriert, da musste ich nichts „retten“ oder wegschneiden. Oft verändern Schauspieler Nuancen, wenn sie eine Szene mehrmals spielen. Diese Nuancen aber sind essentiell, die will ich erfassen. Die Figur der Masha in „The Last Station“ wirkt im Rohmaterial unglaublich stark, man kann sich gut vorstellen, warum Valentin sie liebt. Gleichzeitig ist sie unnahbar. Ich suche dann das Lächeln, den Gesichtsausdruck, der ihrer Figur etwas Weiches gibt.

          Es ist unterschiedlich, wann die Regisseure zu mir kommen, manchmal nach zwei Monaten. Dann überprüfen wir jede Szene, manche überarbeiten wir gemeinsam. Einige Regisseure kann ich heute leichter trösten, wenn eine ihrer Lieblingsszenen ganz herausfällt. Es gibt ja die Deleted Scenes auf DVD.

          Weshalb wir so wenig erkennen

          Seit 1996 schneide ich digital, das erleichtert vieles. Wenn dem Regisseur eine aufwendig montierte Szene nicht gefiel, musste ich früher den Filmstreifen auftrennen, neu zusammensetzen und wieder in die Klebepresse legen; klar kann ich immer noch jeden Handgriff. Schnitt, klapp, legen, zack, kleben. Das war mühsam. Allerdings hatte der Analogschnitt auch etwas Gutes, vorher gedacht, dann gemacht. Darum geht es. Ich muss die ganze Geschichte überblicken, darf mich nicht in technische Raffinessen verlieben, nur weil es amüsant ist, mit ihnen zu spielen. Deshalb sollten Studenten heute noch diese Arbeitsweise kennen; man lernt, sich nicht zu zerfasern.

          Mit dem Digitalschnitt können wir vieles mühelos ausprobieren. Aber jede neue Technik gebiert auch eine neue Ästhetik, eine schnelle, vielleicht zerstreute, so wie das Leben. „Wir haben verlernt, unsere Augen auf etwas ruhen zu lassen. Deshalb erkennen wir so wenig“, sagte der Dramatiker Jean Giono einmal, eine wunderschöne Aussage, sie hängt an meiner Pinnwand. Beim Filmschnitt muss man genau hinsehen und hinhören, um den absolut richtigen Ton der Szene zu finden. Vielleicht setzt man da den Schnitt einen Tick später und verändert so den Rhythmus; dort addiert man ein Bild und verändert so die Atmosphäre. Außerdem bastele ich beim Feinschnitt immer wieder an einzelnen Frames herum, der Diamantschliff sozusagen. Ungeduldige Regisseure sollten da nicht dabei sein; Caroline Link weiß inzwischen, dass sie mich in dieser Phase besser wieder allein lässt.

          Ich will nicht den Joker des Künstlers ziehen

          Wenn Einstellungen fehlen, ist es schwer, logische Anschlüsse hinzubekommen. Die Regisseure sitzen neben mir und seufzen; im Schneideraum offenbart sich jeder Fehler. Jedoch schenken gerade diese Leerstellen Raum für Poesie, denn wir müssen kreativ werden, um weiterzuerzählen, das ist die Kunst. Eine Abblende? Nur Ton über ein schwarzes Bild? Ein Zwischenschnitt aus der Totalen?

          Irgendwann wird man betriebsblind. Jetzt, bei „The Last Station“, müssen wir darauf achten, nicht jede einzelne Sekunde immer wieder zu hinterfragen, sonst werden wir unsicher. In solchen Phasen finde ich die Lösung oft in den Momenten zwischen Schlafen und Wachen, wenn mein Kopf unbelastet arbeitet. Bei „Das Leben der Anderen“ hatte ich das Glück, vor dem Final Cut zwei Monate die Arbeit ruhen zu lassen. Als wir uns wieder trafen, hatte Florian einen Fragenkatalog vorbereitet. Wir schauten genau, ob wir auf bestimmte Szenen wirklich verzichten wollen, und haben den Gesamtrhythmus überprüft. Vieles geschieht bei mir zwar intuitiv, aber ich will nicht den Joker des Künstlers ziehen, der sich einfach auf sein Gefühl beruft. Jeden Schnitt will ich begründen können, das ist mein Anspruch.

          Es geht mir nicht um den roten Teppich

          Mein Arbeitsplatz ist nicht glamourös, sondern abgedunkelt, es gibt die Bilder, den Ton, mich und meine Pinnwand; früher verglich ich mich sogar mit einem Maulwurf. Ich arbeite im Schatten. Das Publikum spricht nach einem Film über die Geschichte, die Schauspieler und vielleicht den Regisseur. Niemand achtet auf die Montage, es geht ja um die Gesamtwirkung. Ich bin nicht Cutterin geworden, um bei der Premiere auf dem roten Teppich vom Scheinwerfer angestrahlt zu werden.

          Es ist nur Zufall, dass drei Filme, die ich geschnitten habe, für den Oscar nominiert wurden, zwei davon haben sogar gewonnen. Aber wenn der Film gut läuft und vielleicht Preise bekommt, weiß ich, dass wir gut gearbeitet haben, das ist für mich eben das Licht.

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