„Parasite“ im Kino : So riecht Sozialkritik
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Sozialkritik im Bild: „Parasite“ Bild: AP
Ein Leben, das aus Füßen besteht, eine Familie, die eine andere befällt, und überall bildhafte Bedeutung: Der Cannes-Gewinner „Parasite“ steckt voller revolutionärer Energie.
Das Einfamilienhaus ist eine geläufige Wohnform. Selten handelt es sich dabei allerdings um ein so extravagantes Gebäude wie in Bong Joon-hos „Parasite“. Eine abgeschiedene Villa inmitten der Millionenstadt Seoul, ein blitzsauberer Rückzugsort mit allen erdenklichen Rücksichten auf Geometrie und Feng Shui. Der Höhepunkt ist das Wohnzimmer, mit einem Panoramafenster auf einen perfekten Rasen, dahinter als Barriere gegen die Außenwelt ein Wald wie aus dem Bilderbuch der fernöstlichen Gartenkunst.
Bewohnt wird diese Luxusimmobilie von einer Musterfamilie: die Parks. Vater, Mutter, Tochter, Sohnemann, der Vater ist ein Tech-Magnat. Geld spielt keine Rolle. Die Mutter kümmert sich um das Haus und die Kinder, sie hat dafür natürlich Personal. Und damit beginnt die Sache schon ein wenig kompliziert zu werden, denn mit der Haushälterin und dem Chauffeur wird aus dem Einfamilienhaus ein Eineinhalbfamilienhaus. Und diese sozial diffizile Form der Teilhabe wird von Bong Joon-ho konsequent intensiviert, bis man streng genommen von einem merkwürdig unterkellerten Zweieinhalbfamilienhaus sprechen müsste, in dem es nach Armut riecht.
Auf dem Boden
Wie riecht Armut? Um das zu erahnen, muss man sehen, wie die Kims wohnen. Mit ihrem Eigenheim beginnt „Parasite“. Eine Souterrainwohnung in einer Gasse, in der gern mal ein Betrunkener gegen eine Mauer pinkelt. Die Kims schauen auf ein Leben, das aus Füßen besteht. Alles, was sich nach unten absetzt (Schmutz, Ausscheidungen), landet in ihrem Blickfeld. Dass in ihrer Bude ausgerechnet das Klo auf einem Podest steht, dass sie also für ihre Verrichtungen eine kleine Kletterübung absolvieren müssen, zeugt einerseits davon, dass hier jemand mit komplizierten Installationen einen Ort zum Leben geschaffen hat, der dafür ursprünglich wohl gar nicht gedacht war; es hat aber auch, wie alles bei Bong Joon-ho, bildhafte Bedeutung. Bei den Kims landet das Ausgeschiedene gleichsam auf der Ebene, auf der bei den Parks der kleine Junge spielt: auf dem Boden.
Das Spiel mit den Ebenen ist nur einer der vielen Vorzüge von „Parasite“. Die Kims und die Parks, das wären bei Nestroy die Familien Schlucker und Goldfuchs, zu ebener Erde und erster Stock.
Spannend wird die Sache in dem Moment, in dem sich die Ebenen zu vermischen beginnen. Das beginnt mit einer Aushilfe. Sohn Kim soll vertretungsweise der Englischlehrer von Tochter Park werden. Die Figuren haben alle Namen, aber offensichtlich ist Bong Joon-ho an einem sozialen Raster gelegen, an einer Begegnung von Familie Mustermann (oben) mit Familie Mustermann (ganz unten). Deswegen sind nicht die Namen das Entscheidende, sondern die Position im Diagramm.
Schäbig, aber einfallsreich
Kim Ki-taek, also Sohn Kim, ist die Vorhut, der bald die ganze Familie folgt: von einer strategischen Übernahme zu sprechen wäre zu viel, es folgt einfach ein Schritt auf den nächsten, die Schwester Kim wird bald als „Kunsttherapeutin“ für den kleinen Sohn Park gebraucht – das einschlägige Wissen ist aus dem Internet schnell zusammengesucht, der Rest ist Chuzpe. Dem Bedarf nach einer neuen Haushälterin, den Mutter Kim erfüllt, muss dann schon ein wenig nachgeholfen werden, wie auch der Vakanz, die Vater Kim als der neue Chauffeur besetzt. Schließlich haben die Parks vier neue Bedienstete, von denen sie das Entscheidende nicht wissen: dass es sich um eine Familie handelt. Eine Familie, die zugleich eine Bande ist – ein wenig schäbig, aber einfallsreich, eine Powenzbande auf Koreanisch.