Kinder in Japan : Vor der Schule lernen wir
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Früher besuchten 99 Prozent aller japanischen Kinder die städtische, sechsjährige kostenlose Grundschule. Erst danach wechselte in Tokio etwa jedes vierte Kind zur besseren Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfungen der Universitäten zu einer Privatschule mit Schulgebühren bis zu umgerechnet eintausend Euro im Monat. Landesweit ist es jedes vierzehnte Kind. Aber inzwischen wollen immer mehr Eltern ihrem Kind einen Startvorteil im Wettlauf um die besten Studienplätze sichern. „Wenn Akira gleich in die richtige Grundschule kommt“, erklärt seine Mutter, „dann wird er es leichter haben, von einer Eliteuniversität aufgenommen zu werden.“ Die Zahl der Erstklässler in Privatschulen ist in fünf Jahren um zwanzig Prozent gestiegen.
Der Andrang auf die wenigen Plätze - in Tokio sind es nur knapp fünftausend - ist so groß, dass die Schulen den Bewerbungsprozess als Hindernislauf gestalten, um die Anmeldezahl zu drücken. So müssen Eltern und Kinder häufig schon im Mai die Schule das erste Mal aufsuchen, zu genau festgelegten Terminen immer wieder persönlich erscheinen, etwa um die Aufnahmeanträge abzuholen, Vorträge zu hören und den Unterricht zu beobachten.
„Wenn ich nicht genau aufgepasst hätte und alle Vorbedingungen erfüllt hätte“, erzählt die Mutter, „wäre Akira niemals an so vielen Schulen zum Test zugelassen worden.“ Viele Eltern muten ihrem Kind lange Fahrten in überfüllten Pendlerzügen zu. Manche Schule begrenzt daher die Dauer des Schulweges und rechnet anhand der Bahnverbindungen die Anfahrtszeit penibel nach, bevor sie eine Bewerbung akzeptiert. Akiras Eltern haben vorgesorgt und für einige Monate eine zweite Wohnung in der Nähe ihrer favorisierten Schule angemietet.
Kosten bis zu 20.000 Euro
Die wenigen staatlichen Elitegrundschulen sind sehr begehrt, weil sie keine Schulgebühren verlangen. Sie verlosen die Zulassung zur Aufnahmeprüfung. Die Eltern müssen persönlich zur Lotterie kommen und den Prüfungsplatz sofort für ihr Kind reklamieren, sonst ist ihr Anspruch verfallen. „Ich hatte dort kein Glück“, erinnert sich Akiras Vater. „Seine Nummer wurde nicht gezogen.“ Doch selbst wenn der Junge teilgenommen und die Prüfung bestanden hätte: Unter diesen Kindern entscheidet noch einmal das Los.
In Japan werden traditionell alle Schulen und Universitäten auf Ranglisten bewertet. Je höher ihr Rang, desto besser die Aussichten der Studenten auf eine Anstellung im Staatsdienst oder in einem Großkonzern. Im neoliberalen Japan wird dieses System nicht in Frage gestellt. Die laute Kritik in den achtziger und neunziger Jahren, man zementiere den Bildungsvorsprung der etablierten Schichten, ist vergessen.
Doch das Fundament des Systems ist brüchig geworden, denn die Großunternehmen stellen weniger ein: „Nur der Abschluss der besten Universitäten garantiert noch eine gute Stelle“, erläutert Akiras Mutter. Auch die Zahl der Beamten geht zurück. Der größte Arbeitgeber, die Post, wird gerade privatisiert. Diese Entwicklungen treiben viele Eltern dazu, noch mehr als schon üblich in die Ausbildung zu investieren. Die aufwendigen Prüfungsvorbereitungen können allerdings für einen Vorschüler schnell bis zu 20.000 Euro kosten.