Katalonien vor der Wahl : Welten entfernt
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Junge Leute, die nach starken Gefühlen suchen: Protestmarsch in Barcelona. Bild: dpa
Am Donnerstag wählt Katalonien ein neues Regionalparlament. Aber die Gesellschaft ist zerstrittener als je zuvor, auf beiden Seiten grassieren die Ressentiments.
Ich gucke ein vierzig Jahre altes Interview mit Salvador Dalí im spanischen Fernsehen. Der Surrealist, mit schön gezwirbeltem Schnurrbart, aber ein paar wirren Haarsträhnen, die ihm wie Gestrüpp ins Gesicht hängen, lässt eine seiner legendären Verrücktheiten los. Er sagt: „Gäbe es zweitausend Picassos, dreißig Dalís und fünfzig Einsteins, wäre die Welt praktisch unbewohnbar. Aber ich kann Sie beruhigen. Es gibt sie nicht.“
Dalís Sätze kommen mir nicht blöder vor als viele andere, die ich zurzeit in Katalonien höre. Auch wenn die Auseinandersetzung längst wieder vom deutschen Radar verschwunden ist, es wird erbittert gekämpft. Und die katalanischen Regionalwahlen am kommenden Donnerstag werden es nicht besser machen, denn die Probleme sind vorläufig unlösbar.
Welche Probleme, müsste man fragen. Fehlt es in Katalonien an Bildung oder bezahlbaren Wohnungen? Haben die Leute nicht genug zu essen? Nein, so schlimm ist es nicht. Aber etwa die Hälfte der Gesellschaft hat das Gefühl, sie brauchte unbedingt einen eigenen Staat, weil dann angeblich alles besser würde. Und die andere Hälfte glaubt das Gegenteil. Und jetzt liegen sie eben im Streit.
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Habt ihr keine anderen Sorgen?
Habt ihr keine anderen Sorgen?, möchte man weiterfragen. Geht‘s noch?! Das ist der eigentliche Grund, warum der katalanische Konflikt in Deutschland nicht zu vermitteln ist: Man erkennt noch nicht einmal das Problem. Seit Jahren verbringt ein bestimmter Teil der Gesellschaft seine Freizeit damit, das Projekt der katalanischen Unabhängigkeit voranzutreiben. Als trüge die Sache ihre eigene Rechtfertigung in sich. Als gäbe es in Zeiten des grassierenden Nationalismus und all des identitären Humbugs nicht ein paar berechtigte Zweifel.
Es stellt sich aber heraus, dass niemand in jenem Lager Zweifel hat. Im Gegenteil. Dass dreitausend Firmen ihren Geschäftssitz verlegen wollen und der Katalonien-Tourismus einknickt, bestärkt die Leute eher in ihrer manichäischen Weltsicht. Denn alles, was daneben geht, auch der jetzt absehbare wirtschaftliche Schaden, ist in ihren Augen das Werk Madrids. Gesetze, die sich störend vor die Unabhängigkeitsidee schieben, sind nach dieser Lesart „antidemokratisch“. Umgekehrt firmiert alles, was die eigenen Gefolgsleute anstreben, als „Willen des Volkes“. Dabei würde es laut Umfragen mehr als die Hälfte der Katalanen vorziehen, zu Spanien zu gehören.
Die Literaturexpertin Michi Strausfeld verbringt seit 1968 einen Teil des Jahres in Barcelona. Sie hat von der Franco-Zeit über die „transición“ bis zu den fetten Jahren der Korruption alles gesehen. Was gerade geschieht, ist für sie nur die Erfüllung ihrer schlimmsten Befürchtungen, die schon in den achtziger Jahren geweckt wurden. Damals begann die katalanische Bildungspolitik damit, Spanisch nicht als natürliche Parallelsprache der Gesellschaft, sondern als erste Fremdsprache zu behandeln; auch ausländische Kinder, deren Eltern nur kurze Zeit arbeitsbedingt in Katalonien wohnten, mussten Katalanisch lernen. Im Lauf der Jahre sprang der Verdrängungswettbewerb der Sprachen auf die Literatur über.
Erfüllung der schlimmsten Befürchtungen
„Barcelona war einmal der wichtigste Verlagsstandort der spanischsprachigen Welt“, sagt Strausfeld. „Das ist vorbei. Alte literarische Namen wie Seix Barral oder Tusquets gehören ja zur Planeta-Gruppe, und die geht nach Madrid. Das Kapital kennt keinen Patriotismus.“
Andere Vertreter der Kulturwelt empfinden ähnlich. „Ich verstehe nicht, was dieser Nationalismus soll“, sagt mir Emmanuel Guigon, der französische Direktor des Picasso-Museums. Mit einer Million Besuchern ist das Museum eine der großen touristischen Attraktionen Barcelonas, doch in den letzten Monaten hat es zwanzig Prozent seiner Kundschaft verloren. „Die Franco-Zeit ist doch lange vorbei. Katalonien lebt in einer Demokratie. Wie können wohlhabende Menschen akzeptieren, dass sie durch den Separatismus auch noch Geld verlieren?“