Mohammed-Karikaturen : Für Satire dieser Art ist in Amerika kein Platz
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Sicherheitshalber haben sie ihre Zeichentische nach Mekka ausgerichtet: Karikatur von Greser & Lenz aus der F.A.Z. vom 9. Januar Bild: Greser & Lenz
Die provokante Satire von „Charlie Hebdo“ ist den amerikanischen Medien fremd. Die Mohammed-Karikaturen kritisieren sie als „vulgär“. Schämt man sich für den Mut der französischen Kollegen?
Von der „New York Times“ werden an Wochentagen 640.000 gedruckte Exemplare abgesetzt und am Sonntag 125.0000. Die verkaufte Auflage der Wochenzeitschrift „Charlie Hebdo“ lag zuletzt bei 30.000 Stück. Ein Korrespondentenbericht der „New York Times“ über den Terroranschlag in Paris charakterisierte am Donnerstag die Bemühungen von „Charlie Hebdo“, alles, was Muslimen heilig ist, zu verletzen, als „rücksichtslos, vulgär und teilweise kommerziell motiviert“. Irgendwelche Informationen über das angebliche kommerzielle Kalkül bot der Artikel nicht. Es könnte ohnehin nicht aufgegangen sein: Ein weiterer Bericht der „New York Times“ erwähnte, dass das am Tag des Massenmords veröffentlichte Heft von „Charlie Hebdo“ einen Spendenaufruf enthielt.
Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur, konnte sein Geschäftsmodell einfach erklären. Gerade in der „Krise der Presse“ wollte man weder einen reichen Gönner suchen noch um Anzeigenkunden werben. Um der „totalen Unabhängigkeit“ willen musste sich das Blatt durch den Verkauf finanzieren. Mit drastischer Religionskritik bediente „Charlie Hebdo“ die Nachfrage einer bestimmten Klientel. Doch ist ein solcher kommerzieller Antrieb hinter dem Ehrgeiz, sich immer wieder neue Bosheiten zu Kalifen, Rabbinern und Päpsten einfallen zu lassen, wirklich, um das Motto der „New York Times“ anzuführen, eine Tatsache, die zu drucken sich lohnt? Ist die Überlegung etwa auch informativ, dass die beflissene Demonstration der Normalität von Familiengründungen durch homosexuelle Paare, die in allen Ressorts der „New York Times“ bis hin zum Immobilienteil zum Programm gehört, die Wünsche eines besonders finanzkräftigen Teils ihrer Leserschaft spiegelt?
Das mag auf den Kontext ankommen. Nach dem Blutbad in einer Redaktion den Schluss nahezulegen, die ermordeten Kollegen hätten eine allzu riskante Geschäftspolitik verfolgt, ist eine Gedankenlosigkeit. Sie ist kennzeichnend für die Verlegenheit, in der sich die liberalen Leitmedien nach dem Pariser Fanal des islamischen Terrorismus befinden: Sie müssen ihrem Publikum erklären, was es mit „Charlie Hebdo“ auf sich hat, dem Organ einer satirischen Militanz, für die es in der amerikanischen Medienlandschaft kein Pendant gibt.
Die Erbeverwalter des aufklärerischen Anspruchs, die großen Blätter und die Fernsehanstalten, erschweren sich diese Erklärungsarbeit, indem sie im Unterschied zu beliebten Internetmedien davon absehen, die Titelbilder mit dem Gast-Chefredakteur Mohammed zu zeigen. Sie versagen den Arbeiten der Toten, die sie als vulgär und krude beschreiben, die Chance, für sich selbst zu sprechen. Die Probe auf den Evidenzeffekt der Satire unterbleibt.
Wenn amerikanische Chefredakteure von der Pressefreiheit reden, geht es nie ohne Eigenlob ab. Dass „Washington Post“ und „New York Times“ im Vietnamkrieg Geheimpapiere aus dem Pentagon druckten, gilt als Ruhmesblatt, das nicht verwelken kann. Aber nachdem jetzt Karikaturisten und Redakteure, ein Korrektor und zwei Polizeibeamte für die Freiheit der Presse gestorben sind, erwecken die Weltblattmacher den Eindruck, dass ihnen das Presseerzeugnis, an dem die Mörder Anstoß nahmen, peinlich ist. Von den Nachrichtenseiten werden die Pariser Karikaturen verbannt, mögen auch Leitartikler verkünden, der barbarische Angriff gelte allen Journalisten und Lesern.
In einem Blatt wie der „New York Times“ standen einem Abdruck freilich unabhängig von aller politischen Brisanz die Hausregeln entgegen. Für das Motivreservoir der Illustrationen in „Charlie Hebdo“ gilt, was der Romanist Max Grosse in dieser Zeitung zum zweihundertfünfzigsten Geburtstag des Marquis de Sade über dessen Werke schrieb: Die Milch der frommen Denkungsart ist die einzige Körperflüssigkeit, die dort nicht in Strömen fließt. In der „New York Times“ wird eines der meistbenutzten vierbuchstabigen Wörter der englischen Sprache nicht gedruckt. Das Tabu über der Sexual- und Fäkalsphäre hatte unlängst während der diplomatischen Krise um „The Interview“ die kuriose Konsequenz, dass die Zeitung sich für die Freigabe eines Films einsetzte, dessen Handlung ihr Filmkritiker in wesentlichen Punkten nur in tantenhafter Umschreibung schildern konnte.