Jurist Grimm zur Causa Wulff : Der Bundespräsident
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Man braucht das Amt des Bundespräsidenten weder aufzuwerten noch aufzugeben. Es hat eine einzigartige Ressource: Ansehen. Aber Christian Wulff kann sie nur noch eingeschränkt nutzen. Deswegen sollte er zurücktreten.
Bundespräsident ist in Deutschland ein funktionenreiches, aber einflussarmes Amt. Der Bundespräsident ist zwar das Staatsoberhaupt, aber nicht die oberste Gewalt im Staat. Er ist im Gegenteil der politischen Entscheidungssphäre weithin entrückt, ganz anders als der französische Präsident, der in ihrem Zentrum steht. Die Amtshandlungen des Bundespräsidenten schließen zum einen Teil Entscheidungsprozesse formell ab, die materiell ohne ihn ablaufen. Er ernennt und entlässt die Mitglieder von Staatsorganen, aber ausgewählt werden sie von anderen. Er fertigt die Gesetze aus und verkündet sie, aber der Beschluss fällt anderwärts. Er schließt internationale Verträge ab, aber ihren Inhalt handeln andere aus, und so weiter.
Wie er selbst zu den Entscheidungen steht, die er in Kraft setzen muss, spielt keine Rolle. Zum anderen Teil sind seine Funktionen zeremonieller Art. Er empfängt oder besucht ausländische Staatsoberhäupter, beglaubigt Botschafter, verleiht Orden und so weiter. Bei alledem ist er schließlich noch von der Gegenzeichnung der Regierung abhängig. Die Erklärung für diese Scheu, das Amt mit Macht auszustatten, liegt in den „Lehren aus Weimar“, die der Parlamentarische Rat zog. Der Reichspräsident der Weimarer Republik hatte erheblich mehr Macht. Wie das Parlament wurde er vom Volk unmittelbar gewählt und verfügte über beträchtliche politische Handlungsmöglichkeiten. Er ernannte den Reichskanzler nicht nur, er bestimmte ihn auch selbst. Der Reichstag war an der Bestimmung nicht beteiligt. Er konnte den Kanzler aber durch ein Misstrauensvotum stürzen. Das beschränkte die Wahlfreiheit des Präsidenten faktisch.
Er besaß jedoch Möglichkeiten, sich gegen einen Reichstag, der nicht mit ihm übereinstimmte, zu wehren. Er durfte das Parlament auflösen, zum Beispiel ehe es Gelegenheit zum Sturz eines von ihm ernannten Reichskanzlers hatte, parlamentarisch beschlossene Gesetze dem Volk zur Entscheidung unterbreiten, einer Reichsregierung ohne parlamentarischen Rückhalt im Weg von Notverordnungen zu den nötigen Gesetzen verhelfen.
Entscheidungsbefugnisse nur in Ausnahmesituationen
Viele dieser Befugnisse waren für die Ausnahmesituation gedacht, in der der reguläre Gang der Dinge gestört war. Aber die Weimarer Republik befand sich überwiegend im Ausnahmezustand. Der letzte führte zur vollständigen Blockade des Systems. Kommunisten und Nationalsozialisten hatten zusammen die absolute Mehrheit im Reichstag, konnten also jede Regierung stürzen, wegen ihrer unüberbrückbaren Gegensätze aber keine bilden. Das war die Lage, in der Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte. Ohne seine Bereitschaft hätte Hitler nur revolutionär an die Macht kommen können. Für die Loyalität der Beamten, Richter, Offiziere wäre das ein wesentlicher Unterschied gewesen. Die Entscheidung belastet nicht nur die Erinnerung an den Reichspräsidenten Hindenburg. Sie wirft auch einen Schatten auf die Ausgestaltung des Präsidentenamtes in der Weimarer Verfassung. Die Autoren des Grundgesetzes betrachteten sie als Fehler, den das Bonner Grundgesetz unter allen Umständen vermeiden musste.