Abschied von einer Philosophin
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Agnes Heller, 1929 bis 2019 Bild: Oliver Abraham
Vom Fallibilismus der Wissenschaften, nach dem es keine unfehlbare Erkenntnisinstanz gibt, war sie unangekränkelt: Zum Tod der leidenschaftlichen und lebensklugen Agnes Heller.
Als ich ihr dieses Jahr mit schlechtem Gewissen, weil viel zu spät, zu ihrem neunzigsten Geburtstag gratulierte, schrieb Agnes Heller ohne eine Spur von Kränkung zurück: „Glückwünsche kommen nie zu spät“. Aber Todesnachrichten kommen immer zu früh. Agnes Heller war bis zuletzt eine Person von sprühender Lebendigkeit. Die Sprungfeder ihres Geistes konnte einfach nicht ermüden. Rückblickend meint man, es schon immer gewusst zu haben: Zu dieser Person passt nur ein plötzlicher Tod. Und nun die Nachricht, dass sie vergangenen Freitag während ihres Urlaubs auf den Plattensee hinausschwamm – und nicht zurückkehrte. Agnes Heller selbst hätte nicht dazu geneigt, eine solche Nachricht romantisch zu verklären; aber ich kann mir gut vorstellen, wenn mir dieser tröstliche Gedanken erlaubt ist, dass sie sich ein kontingentes Zuschlagen des Todes gewünscht hat.
Agnes Heller war eine Philosophin der alten Schule. Als ich sie Mitte der sechziger Jahre bei Iring Fetscher in Frankfurt kennenlernte und ihr bei den jährlichen Treffen der Praxis-Philosophen auf der Insel Corcula wiederbegegnete, erschien sie uns, bei aller Verwandtschaft in der kritischen Orientierung ihrer Gedanken, als die junge, bestechende Verkörperung eines philosophischen Profils, das wir aus der Generation unsrer Lehrer kannten. Aus unserer Perspektive hatte sich unter den interessanteren Kollegen des „Ostblocks“, wie man damals sagte, ein Erbe des deutschen Idealismus erhalten – eine vom Fallibilismus der Wissenschaften noch unberührte Selbstgewissheit, die wir aus der zeitgenössischen Philosophie der westlichen Länder nicht mehr kannten.
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