Jüdisches Museum Frankfurt : Was wir von Fritz Bauer lernen können
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Er brachte die Auschwitzprozesse auf den Weg: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1965 Bild: fotografie stefan moses, München
Feind im eigenen Land: Das Frankfurter Jüdische Museum erinnert an den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der mit den Auschwitzprozessen ein langes Beschweigen brach.
In einer Filmsequenz von Alexander Kluges „Abschied von gestern“ aus dem Jahre 1966 ist schon alles zu sehen: Der elegante, weißhaarige Mann im schwarzen Anzug und mit einer Brille, wie sie heute wieder modern ist, erhält in seinem Dienstzimmer einen Stapel Akten. Die Boten tragen Uniform und passen gar nicht in das reduzierte, ausgewählte Interieur, an dem vor allem eine nach Entwürfen von Le Corbusier gestaltete schwarz-weiße Tapete auffällt.
Und dann liegen sie da, die Akten, die sich zu bedrohlichen Haufen formen, als führten sie ein anarchisches Eigenleben, ein Konzentrat der Gewalt jener Jahre gleich nach dem Zweiten Weltkrieg. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer nimmt dann den täglichen Kampf auf, raucht und liest und schreibt und sieht dabei aus wie einer, der weiß, was er tut, wenn er seinen Job macht.
Der Feind im eigenen Land
Eine Mehrheit seiner Landsleute wird er nicht hinter sich gehabt haben, als er NS-Täter verfolgte, die Auschwitzprozesse auf den Weg brachte oder gar den Israelis den entscheidenden Tipp gab, wo Adolf Eichmann zu finden sei. „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich Feindesland“ pflegte er zu sagen, was nicht ganz falsch war, denn seine Zeitgenossen waren nun mal jene, die Hitler an der Macht gehalten hatten, aber es war doch auch eine Stilisierung, denn es gab damals schon einige, in Frankfurt zumal, die Fritz Bauer bewunderten und ihm helfen wollten, und er pflegte einen großen, munteren Freundeskreis, auch wenn all diese Personen zusammen sicher nicht die Mehrheit waren. Aber sie hatten etwas vor mit diesem Land, mit dem Strafrecht und verzagten nicht an ihrer schweren Aufgabe. Leider ist viel davon vergessen.
Es ist mit der Erinnerung wie auf einem Klassentreffen: Es setzen sich jene zueinander, die auch früher schon nebeneinandersaßen, und darum war es in den vergangenen Jahrzehnten manchmal still und leer geworden um Fritz Bauer. Er war ein überzeugter Schwabe, der sein Heimweh mit dem Genuss von Spätzle zu bekämpfen suchte, hatte seine wichtigste Wirkungsstätte nach dem Krieg aber in Frankfurt.
Er war Jude, aber nicht religiös. Er war Sozialdemokrat, versah sein juristisches Amt aber resolut überparteilich. Er war ein visionärer Jurist, blieb aber ein Praktiker, der keine dicke Verfassungsgeschichte geschrieben hatte. Und er war als Remigrant zu seiner Zeit einer der anderen, für die einen ein schlechtes Gewissen mit dicker Brille, für viele aber immer noch der Feind im eigenen Land. Zahlreiche Postkarten, Telegramme und Briefe belegen den antisemitischen Geist auch noch der fünfziger und sechziger Jahre.
Ende mit dem kollektiven Beschweigen
Die bewegende und durchdachte Ausstellung, die das Jüdische Museum Frankfurt nun Fritz Bauer widmet, versucht all diese Traditionsstränge aufzugreifen und zu einer dem Mann gemäßen Synthese zu verbinden, in der er weder als Opfer noch als Held erscheint, die vielmehr über die Person – so romanhaft faszinierend sein Lebenslauf auch ist – hinausweist und das ethische und ästhetische Projekt Fritz Bauers skizziert.
Ihm war bewusst, so die These von Raphael Gross, dem Leiter des Jüdischen Museums, dass die Verbrechen in Auschwitz nicht als individuelle Straftaten allein gewertet und geahndet werden können. Zehntausende waren an diesen Verbrechen beteiligt, entsprechend mehr wussten davon und billigten sie. All diese Menschen waren nach dem Krieg die Zeitgenossen Bauers. An sie richtete sich sein in Juristenkreisen berühmtes Diktum, es gelte „Gerichtstag zu halten über uns selbst“. Er wollte das kollektive Beschweigen beenden und sah die Prozesse als ersten Schritt auf diesem Weg.