Philosophin Judith Butler : Das Paradox der Demokratie
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Judith Butler Bild: Ullstein
Wir müssen Hillary Clinton ins Weiße Haus helfen, damit wir eine Opposition gegen sie aufbauen können: Die Philosophin Judith Butler über ihre performative Theorie der Versammlung.
Als ein britisches Magazin vor einigen Jahren eine Liste der wichtigsten Geisteswissenschaftler zusammenstellte, kam Judith Butler auf Platz neun der weltweit meistzitierten Autoren – ein paar Plätze hinter Foucault, aber mit solidem Vorsprung vor Freud, Deleuze, Heidegger und Kant. Beim Treffen an einem Sonntagnachmittag im spätsommerlichen nordkalifornischen Berkeley schafft es Butler trotzdem, einen vergessen zu lassen, dass man hier einer der einflussreichsten Denkerinnen der Gegenwart gegenübersitzt. Sie nimmt sich Zeit, hört genau zu.
Weil ihre Universität seit ein paar Jahren Finanzprobleme hat, sind am Wochenende die Bürogebäude zugesperrt. Butler ist es recht so. Ihr gefällt es, das Gespräch in einem Biergarten unter einem großen Sonnenschirm zu führen. Auch mit Musik im Hintergrund und den gelegentlichen Erstsemestern, die sie zu erkennen scheinen. Obwohl sie viel reist, ist es für sie wichtig, gerade hier in Berkeley zu wohnen, sagt sie. An jeder anderen Uni würde sie als Radikale gelten, hier hält man sie nicht einmal für ungewöhnlich links. Hier, wo in den Sechzigern die Free Speech Movement anfing, wird auch heute noch viel in Co-Ops und Kollektiven organisiert. Es gibt Sozialprogramme, egal, ob man Englisch oder Spanisch spricht. Natürlich dürfe man sich nicht in solchen Biotopen verkriechen, gibt Butler zu. Aber es hilft einem doch, die Hoffnung am Leben zu halten, wenn man täglich kleinen Sozialexperimenten beim Funktionieren zusieht.
Butler bestellt einen großen Salat, hängt die Lederjacke über die Stuhllehne und macht für die nächsten Stunden kaum eine Pause, gestikuliert viel, antwortet ausführlich und druckreif.
So berühmt ihre Bücher für die manchmal schwer zugängliche Sprache sind: Im persönlichen Gespräch ist sie es, die sich anstrengt, nicht der Zuhörer.
Frau Butler, auch in Deutschland sind Sie bis heute vor allem als wichtige Vordenkerin von Feminismus und Gendertheorie bekannt. In den letzten Jahren jedoch geht es in Ihrer Arbeit um allgemeinere, weltpolitische Fragen. Wie kommt man von dem einen Thema zum anderen?
Für mich war es eine sehr langfristige Entwicklung. Es fing damit an, dass ich als junge Philosophiedoktorandin über Begierde und Anerkennung in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ schreiben wollte. Für mich war immer klar, dass solche philosophischen Ideen auch mit meinem Leben zu tun hatten, etwa mit den Anliegen der Lesben- und Schwulenbewegung. Mein erstes Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ habe ich um 1988 herum geschrieben. Ich wollte damals auch auf die Aids-Krise in Nordamerika reagieren. Ich war entsetzt, dass so viele meiner Freunde und Bekannten ihre Partner und Liebhaber verloren und darüber oft nicht einmal mit ihrer eigenen Familie sprechen konnten. Wir alle bekamen mit, dass die Regierung nicht genug tat, um diesen Leuten medizinische Versorgung zu garantieren. Alles das war für mich ein Zeichen fehlender Anerkennung.
Und jetzt?
Die gleiche Grundidee war im Spiel, als ich die Entwicklungen nach dem 11. September 2001 beobachtete. In den Tagen vor und nach dem Anschlag war ich in New York. Man merkte schnell, wer öffentlich betrauert wurde und wer nicht. Im Kontext der darauf folgenden Kriege wurde schnell klar, dass wir hier auf Bevölkerungen zielten, die wir nie so betrauern würden wie die amerikanischen Opfer der Anschläge. Ich wollte genau beschreiben, dass in unserer Gesellschaft verschiedene Menschenleben als mehr oder weniger betrauernswert erscheinen.