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Journalismus 2019 : Pharisäer haben immer Konjunktur

Öffentlich-rechtliche Mikrophon-Vielfalt Bild: Picture-Alliance

Nicht nur in der Politik, auch im Journalismus hat ein Predigerton Einzug gehalten, der nicht Öffentlichkeit schafft, sondern sie zunichte macht. Ob sich das 2020 ändert?

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          Aufgabe des Journalismus ist es, zur Meinungsbildung beizutragen. Dabei befinden sich Journalisten in einer privilegierten Position. Denn neben der Kärrnerarbeit der Recherche, Aufklärung, Analyse und verständlicher Darstellung steht es ihnen frei, ihre Meinung kundzutun und zu kommentieren, was das Zeug hält, und zwar so, dass die anderen es mitbekommen.

          Darin freilich sind sie inzwischen von Bloggern und Influencern überrundet worden, die den Schritt, ihr Publikum umfassend zu informieren, überspringen, und den Dingen ihre Lesart voranstellen. Bevorzugter Tummelplatz des Kräftemessens sind Plattformen wie Twitter, auf denen Scharfrichter den Ton angeben, die nicht nur ihnen widerstrebende Ansichten verdammen, sondern diejenigen, die sie vortragen, persönlich gleich mit.

          Das befördert die Lagerbildung und zerstört die öffentliche Meinungsbildung vor allem deshalb, weil mehr und mehr Moralisten und Prediger auftreten, die Heilsbotschaften verkünden und Widerspruch nicht dulden.

          Sie machen sich eine Haltung zu eigen, die eine Kommunikationsforscherin der ARD in diesem Jahr für ein Honorar von 120.000 Euro als grundsätzliche Herangehensweise empfohlen hat und da lautet: Argumentieren Sie nur noch moralisch, erhöhen Sie sich selbst und werten Sie ihr Gegenüber ab. Sie verkünden objektive Wahrheiten und haben das Wohl aller im Sinn, die anderen vertreten irgendwelche Interessen, sind eigennützig und reden gefährlich dummes, wenn nicht verbrecherisches Zeug. Willkommen im Club der profanen Prediger.

          Deren Botschaft ist ganz und gar diesseitig, wird aber kommunikativ ins Ersatzreligiöse transzendiert, ganz gleich, ob es um den Klimawandel, die Flüchtlingspolitik oder das Urheberrecht geht, um drei aktuelle Beispiele zu nennen. Den Predigern geht es nicht nur ums große Ganze, wie selbstverständlich werden für jeden einzelnen Regeln für die gute, die richtige, die einzig vertretbare Lebensführung formuliert. Sag mir, wen du wählst, sag mir, was du isst, sag mir, wie du dich fortbewegst und ich sage dir, ob du ein guter Mensch bist. Und diese alle und alles gleichmachende, die Freiheiten des Menschen negierende Art der Daseinsvorsorge für andere macht nicht einmal zu Weihnachten Pause. Die Pharisäer haben das ganze Jahr Konjunktur.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

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