Gauck und die Chansons : Alle lieben Barbara
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Die französische Chanson Sängerin und Komponistin Barbara bei einem Auftritt in Hamburg in den Siebziger Jahren. Bild: Picture-Alliance
Gérard Depardieu und Joachim Gauck haben eines gemeinsam: Die Bewunderung für die Chanson-Sängerin Barbara.
Was haben Joachim Gauck und Gérard Depardieu gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Der eine, 1940 in Rostock geboren, Pastor zu DDR-Zeiten und erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, wird heute als elfter Bundespräsident mit Großem Zapfenstreich verabschiedet. Der andere, acht Jahre jünger, einer der populärsten französischen Schauspieler, hat die Zuneigung seiner Landsleute zuletzt eher strapaziert. Nicht nur über die Filmfestspiele war Depardieu hergezogen, auch sein Steuerdomizil hat er kurzerhand nach Russland verlegt. Lieber zeigte er sich im Arm von Putin als auf den Straßen von Paris. Doch als er jüngst mit Chansons der Sängerin Barbara im Théâtre des Bouffes du Nord auftrat, verziehen ihm die Pariser im Nu. Als der große schwere Mann auf die Bühne trat und mit trauriger, brüchiger Stimme die berühmten Lieder vortrug, „Une Petite Cantate“, „Mémoire, mémoire“ und natürlich „Göttingen“, da feierten sie den verlorenen Sohn frenetisch.
Die Chansons sind jetzt auch auf einer CD, „Depardieu chante Barbara“, zu hören. Und sie sind das Bindeglied zu Joachim Gauck. Denn nicht nur der französische Schauspieler verehrt die vor zwanzig Jahren verstorbene Sängerin. Auch der Bundespräsident hat eine Schwäche für die „Unvergessene“, wie er unlängst in Paris offenbarte. Anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Sorbonne trat der in einen schwarz-gelben Talar gehüllte Gauck auf die Bühne des großen Festsaals der Universität und sprach nicht nur über Europa, Kant und Leibniz, sondern auch über – Barbara.
Als die Deutschen noch „Boches“ waren
Dabei war Göttingen, nicht anders als Paris, in den sechziger Jahren für Gauck wie für alle in der DDR gleichermaßen „sternenweit entfernt“. Europa, sagte Gauck, das war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Versprechen, das mit dem Wunder der deutsch-französischen Aussöhnung begonnen habe. Mit dem Wunder, als 1964, ein Jahr nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags, der die deutsch-französische Freundschaft besiegelte, auf unerhörte Weise Barbara davon sang, dass sich die Kinder in Göttingen nicht unterschieden von denen in Paris. „Da waren gerade einmal zwanzig Jahre vergangen, seit Hitler den Befehl gegeben hatte, Paris in Schutt und Asche zu legen, dem General von Choltitz nicht nachgekommen war.“
Die sechziger Jahre, das war die Zeit, als die Deutschen für viele Franzosen noch die „Boches“ waren. Und tatsächlich musste der Direktor des Göttinger Theaters, als er damals nach einem Pariser Konzertbesuch der Sängerin die kühne Idee hatte, diese nach Deutschland einzuladen, all seine Überredungskünste aufbringen.
„Ich fahre also im Juli nach Göttingen und ärgere mich bereits, dass ich die Einladung angenommen habe“, beschrieb sie den Moment in ihren Memoiren. Denn Barbara, die mit bürgerlichem Namen Monique Andrée Serf hieß, hatte nichts vergessen. Als die 1930 in Paris geborene Tochter einer jüdischen Familie musste sie während des Zweiten Weltkriegs aus dem von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs fliehen und überlebte mit Glück in einem Versteck in Südfrankreich. Als sie sich zwanzig Jahre später schließlich schweren Herzens nach Göttingen aufmacht, geht zunächst alles schief. Sie besteht darauf, auf einem Konzertflügel zu spielen und nicht auf dem verstimmten Klavier des Theaters. Auch diese Hürde räumen die Göttinger aus dem Weg, die bei einer alten Dame in der Nachbarschaft ein Konzertflügel auftun und ihn ins Theater schleppen. Das Konzert beginnt, wie sich der Deutschland-Korrespondent des „Figaro“ in einem Essay erinnert, mit anderthalbstündiger Verspätung – und wird zu einem sagenhaften Erfolg.
Die Göttinger Seine
Barbara wird so euphorisch gefeiert, dass sie sich kurzerhand entschließt, ihr Gastspiel in Göttingen um eine Woche zu verlängern. Jeden Abend tritt sie dort im Jungen Theater auf, jeden Abend wird sie aufs Neue mit Applausstürmen empfangen. Und irgendwann beginnt sie, die vielen Worte und Eindrücke zu Musik zu verarbeiten. Am Abend vor ihrer Abreise singt sie dann, zu einer noch halbfertigen Melodie, das Lied, das sie zumindest in Göttingen unsterblich gemacht hat.
Seither denkt manch einer, der am Leinekanal von Göttingen entlangläuft, an die Ufer der Seine. Oder erinnert sich beim Spaziergang durch die Eichenwälder der Umgebung an den Bois de Vincennes. Auch Gérard Depardieu singt auf der CD die Ballade „Göttingen“. Es ist das letzte Lied. Er singt es zart, ernst, nur mit Klavierbegleitung. Ob sich Joachim Gauck zum Großen Zapfenstreich womöglich auch ein Lied von Barbara gewünscht hat? Ein Anruf beim Bundespräsidialamt bringt Klarheit: Es wird nicht Barbara gespielt werden, sondern ein Song des ostdeutschen Rockmusikers Ed Swillms: „Über sieben Brücken musst Du gehen.“