Merkels Flüchtlingspolitik : Rechtsbruch oder gar nichts Besonderes?
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Flüchtlinge Mitte Januar an der mazedonisch-serbischen Grenze: Verstößt die Verweigerung der Einreise schon gegen die Menschenwürde? Bild: AFP
Juristen streiten über die Verfassungsmäßigkeit von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Der Versuch, notwendige Klarheit herzustellen, wird aber von politischer Seite durch immer neue Unklarheiten und Unschärfen erschwert.
In ihrer wöchentlichen Videobotschaft hat Angela Merkel (CDU) vor Tagen erläutert, wo sie Handlungsspielraum sieht, um die Flüchtlingskrise zu bearbeiten. Kurz gesagt: Nicht dort, wo die Flüchtlinge anlangen, sondern dort, wo sie herkommen. Dabei hat die Kanzlerin allerdings eine merkwürdige Formulierung benutzt. Man müsse die Türkei unterstützen, denn es sei auch im europäischen Interesse, dass es den dort lebenden Flüchtlingen gut gehe, „so dass sie dann keinen Grund sehen zu fliehen aus der Türkei“.
Erlaubt man sich per Analogie den Schluss auf andere Länder, in die Flüchtlinge des syrischen Bürgerkrieges ihr Land zuerst verlassen, dann sind auch Italien, Spanien und Griechenland in diesem Sinne zu unterstützen. Fast könnten einem politischen Keynesianer bei dieser Liste Worte wie „Ende der Austerität“, „Marshall-Plan“, „Binnennachfrage“ in den Sinn kommen.
Doch bevor man die Frage erörtert, ob Schuldenbremse und Mindestlohn die Flüchtlingskrise überstehen, gilt es eine andere zu beantworten. Die nach jener merkwürdigen Formulierung. Nachdem der Begriff des Asylsuchenden durch den des Flüchtlings praktisch verdrängt worden ist, zeigt jener Satz die anschließende Ausdehnung des Begriffs „Flüchtling“. Der Genfer Konvention von 1951 zufolge ist Flüchtling, wer aus begründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in das Land seiner Staatsangehörigkeit nicht zurückkehren will. Syrer, die aus der Türkei weggehen, würden danach nicht aus ihr fliehen, von solchen ganz zu schweigen, die von der Slowakei nach Österreich und von dort nach Deutschland weiterreisen. Trotz mehr als 900 schändlichen Angriffen auf Flüchtlingsheime in Deutschland im Jahr 2015 würde die Kanzlerin wohl kaum den Satz eines skandinavischen Kollegen akzeptieren, syrische Flüchtlinge flöhen aus Deutschland, wenn sie nach Dänemark und Schweden weiterreisen. Er träfe den Kern des Geschehens auch nicht.
Wo liegen die Grenzen?
Weshalb also wählt Angela Merkel dieses Vokabular? Es muss das Desaster der europäischen Migrationspolitik verdeckt werden. Denn ohne die Behauptung, die Flüchtlinge flöhen aus der Türkei, dann aus Griechenland, den Balkanländern, Ungarn und Österreich, griffe auch diesseits der rechtlichen Konstruktion „sicherer Drittstaaten“ das Pathos ins Leere, das auch an den bayerischen Grenzen noch Menschen in schwerer politischer Bedrängnis stehen sieht. Es anders zu sehen, zwingt noch nicht dazu, diesen Grenzübertritt für illegal zu erklären. Aber es wäre im Sinne einer Klärung der Sachlage, wenn man festhielte, dass diese Menschen vor der deutschen Grenze vom Winter, von Erschöpfung, von Hunger, nicht selten auch von Fremdenfeindlichkeit und von einem Verwaltungschaos bedroht sind – aber nicht von staatlicher Verfolgung.
Als der österreichische Bundeskanzler Faymann mitteilte, es sei ihm von Beginn des Ansturms an klar gewesen, „dass die Antwort nur eine gemeinsame Lösung mit Deutschland sein kann, weil diese Flüchtlinge ja weiter nach Deutschland wollen“, hat er das implizit genau so gesehen. In derselben Pressekonferenz vom August 2015, in der das berühmte Wort „Wir schaffen das“ fiel, hatte Angela Merkel wiederum ganz ähnlich formuliert, es gelte der Grundsatz der Menschenwürde für jedermann, „gleichgültig, ob er Staatsbürger ist oder nicht, gleichgültig, woher und warum er zu uns kommt“. Ähnlich war das deshalb, weil weder aus dem Willen einer Person noch aus der Menschenwürde ein Recht auf Einreise in einen Staat abzuleiten ist. Großbritannien beispielsweise verstößt mit der Nichtunterzeichnung von Schengen schwerlich gegen die Menschenrechte. Und umgekehrt ist es für einen Grenzübertritt eben rechtlich nicht gleichgültig, woher und warum jemand kommt.