Interview : Werbe-Guru Michael Schirner: „Viele gute Ideen entstehen per Zufall“
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Kennt sich aus mit Kampagnen: Werbepapst Michael Schirner Bild: Michael Schirner, Werbe- und Projektagentur
Düsseldorf zeigt die Highlights deutscher Werbung. Werbepapst Michael Schirner erklärt FAZ.NET das Geheimnis guter Werbung.
An welche Werbung von heute Morgen, können Sie sich jetzt noch erinnern? Jeder der Kreativen, die gegenwärtig Spitzen-Arbeiten aus 36 Jahren deutscher Werbegeschichte in einer Düsseldorfer Ausstellung zeigen, möchte der Schöpfer genau dieses Spots oder jenes Plakates sein. Denn Nachhaltigkeit ist das A und O des Business.
Wie kaum ein anderer hat Michael Schirner mit den von ihm entwickelten und beeinflussten Kampagnen das kreative Bild der Werbung geprägt. Mit seiner Renaissance des Plakats, seinem Anspruch Kunst = Werbung, seinem Prinzip der Reduktion und den Kampagnen von Post, Porst und Pfanni bis Jägermeister, IBM und Zucker, wirkte er stil- und bewusstseinsprägend. FAZ.NET sprach mit Michael Schirner über das Geheimnis guter Werbung.
Gehört die Werbung ins Museum, Michael Schirner?
Das Beuys-Zitat hier in der Ausstellung sagt es eigentlich schon: „Ob gute Werbung Kunst ist, weiß man, wenn man sieht, wofür sie wirbt.“ Werbung, die nicht ausschließlich das Ziel hat, vordergründig zu verkaufen, sondern ästhetische und intellektuelle Qualitäten hat, findet sich häufig in Museen wieder und hat hier durchaus ihren Platz.
Was ist das Geheimrezept eines guten Spots? Gibt es das überhaupt?
Werbung ist eine Form von Kommunikation, die versucht, Bild und Text optimal miteinander in Beziehung zu setzen. Das hat sich über die Jahre hinweg nicht wesentlich verändert.Geändert haben sich die Inhalte und natürlich die Produkte. Schreibmaschinen zum Beispiel gibt es ja heute kaum noch.
...womit wir schon bei Ihrer IBM-Kampagne aus den 80er Jahren wären. Wie entstand die Idee, und was war der Grund für ihren Erfolg?
Wie viele gute Ideen entstand alles aus einem Zufall heraus. Wir saßen im Meeting, um Ideen für die Kampagne zu sammeln. Ich kritzelte auf ein Blatt das Wort 'Schreibmaschine', und die Buchstaben verrutschten ein wenig, da ich eine sehr unleserliche Schrift habe. Plötzlich stand da ein großes I im Wort. Daraus wurde dann 'SchreIBMaschine' geboren. Die Kampagne trieb ein Prinzip guter Werbung auf die Spitze: Reduktion auf das Wesentliche. Alles weglassen, was man weglassen kann. Bei IBM gibt es nicht mal ein Bild - die Typographie ist die Bildidee, sonst nichts.
Es gibt ein Zitat des französischen Werbers und Autors Frédéric Beigbeder: „In den 70ern gab es in der Werbung den Jugendkult, in den 80ern die Show, in den 90ern die Dekonstruktion.“ Welchen Trend sehen Sie für das erste Jahrzehnt 2000?
Ich würde Trends in der Werbung nicht in Zeiträume einteilen. Den Jugendkult zum Beispiel gibt es immer, wenn es um Werbung für junge Produkte geht. Ich finde das zwar eher unsinnig, weil es immer mehr Rentner und immer weniger Junge gibt, aber so ist es eben. Die Werbung bedient sich aller Trends, die um sie herum existieren. Doch sind Gestaltungsprinzipien natürlich bestimmten Moden unterworfen. Es zeigt sich in den letzten Jahren zum Beispiel die Tendenz, das Bild immer mehr in den Mittelpunkt zu rücken.
Ein Bild wirkt zuerst, dann kommt der Text. Ein interessantes Beispiel: in Cannes ist letztes Jahr ein brasilianisches Plakat ausgezeichnet worden, das nichts als einen riesigen, leeren Schildkrötenpanzer zeigte. Das Produkt war klein in einer Ecke zu sehen: ein Staubsauger. Diese Werbung ist ein bisschen makaber, aber witzig: dieser Sauger hat so viel Power, der holt selbst die Schildkröte aus ihrem Panzer. Aber sie hat vor allem damit zu tun, dass in Brasilien 30 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind.
Ein Trend, der sich beobachten lässt, ist der Blick zurück. Nostalgisches scheint wieder sehr in Mode zu sein. Milka hat eine Verpackung herausgebracht, die aussieht wie vor 50 Jahren. In Zeitgeistpostillen wie „wallpaper“ werden die 70er wiedererweckt...
Diese Erscheinungen kann man beobachten, ganz klar. Es hat aber damit zu tun, dass die Werbung fast immer mit Zitaten arbeitet. Bildsymbole und Textaussagen haben fast immer Zitatcharakter: wir nehmen ein Wort, greifen es auf und verändern es, wir benutzen ein Bildklischee, greifen es auf und verändern es. Jetzt gerade sind es vielleicht die 70er, die überall auftauchen, bald werden es wieder die 80er sein. Es ist ein endloser Rhythmus der Moden.
Welche Werbung gefällt Michael Schirner ganz privat?
Auf dem Weg ins Museum sind mir, wie so oft, die H&M-Plakate aufgefallen, die übrigens auch ganz „retro“ im Stil der Modemagazine aus den 40ern aufgemacht sind. Sie gefallen mir nicht nur, weil sie schöne Frauen zeigen, die von den teuersten Fotografen der Welt in Szene gesetzt werden, sondern vor allem wegen der Idee. Die schönsten und teuersten Models der Welt tragen die billigsten Klamotten: Claudia Schiffer im BH für 19 Mark.
Gleicht sich das Leben immer mehr der Werbung an oder wird die Werbung wie das Leben?
Ich würde es so formulieren: „Leben ist Werbung und Werbung ist Kunst.“