Integration : Drum seid höflich und bescheiden
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Die Chance, voneinander zu lernen: Eine syrische Familie informiert sich in Mainz in einem Faltblatt über den Karneval. Bild: dpa
Auch die Deutschen mussten schon einmal integriert werden. Daraus ließe sich für die Flüchtlingsfrage einiges lernen – für beide Seiten.
Seit mehreren Monaten bietet die ARD im Internet „Wegweiser für Flüchtlinge“ in deutscher, englischer und arabischer Sprache an. Unter anderem führt eine Slideshow mit Bildern in die Verhaltensregeln des bundesrepublikanischen Alltags ein: Männer und Frauen schütteln sich zur Begrüßung die Hand und schauen sich dabei direkt in die Augen. Wer etwas nicht versteht, fragt nach, denn das gilt keineswegs als unhöflich. In Konflikten gewalttätig zu werden ist dagegen ebenso verboten wie Kinder zu schlagen, und wer sich daran nicht hält, sitzt schnell hinter Gittern. Denn hierzulande lösen Menschen ihre Konflikte, indem sie miteinander sprechen – unter Umständen können Dritte dabei als Vermittler dienen. Wem dennoch Gewalt oder anderes Unrecht widerfährt, der wendet sich an die Polizei.
Die Slideshow soll die Integration von Flüchtlingen erleichtern, aber man könnte sie auch als Versuch zu deren „Demokratisierung“ begreifen. Zumindest erinnern sowohl die Inhalte, die vermittelt werden sollen, als auch das gewählte Instrument selbst in erstaunlichem Ausmaß an den unter diesem Namen bekannten Versuch der westlichen Alliierten, den Deutschen nach 1945 die Grundlagen demokratischen Alltagshandelns zu vermitteln. Ziel der Demokratisierung war es damals nicht allein, eine repräsentative Demokratie und die dazugehörenden Institutionen zu schaffen sowie für Meinungsfreiheit, Gleichheit und Toleranz als Grundwerte zu werben, sondern, Demokratie als „Lebensform“ zu verankern, also in täglichen Praktiken.
Sich widersprechen ist Ausdruck des Respekts
Die demokratischen Umgangsformen sollten durch ein „learning by doing“ vermittelt werden, etwa durch die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen. Sie wurden aber auch in bebilderten Broschüren und in Kurzfilmen erläutert, gezeigt in Amerika-Häusern, kirchlichen und politischen Akademien sowie Volkshochschulen. Deren Botschaft richtete sich prinzipiell an alle, insbesondere aber an die als besonders formbar gedachte Jugend sowie an bestimmte Berufsgruppen, etwa Lehrer, Erzieher und Journalisten, denen man als Multiplikatoren der Demokratisierung besondere Bedeutung zuschrieb.
Der in den frühen fünfziger Jahren produzierte Kurzfilm „... und was meinen Sie dazu?“ lehrte zum Beispiel, dass in einer Diktatur nur einer spricht und alle anderen schweigen, während im Chaos alle durcheinanderreden und in der Demokratie, nun ja: bei einem öffentlichen Dissens eine öffentliche Diskussionsveranstaltung geplant wird, bei der Bürger dann nacheinander ihre Meinung äußern und sich tolerant zuhören. Mit Hilfe des Moderators, der Übermütige höflich bremst, Schüchterne geschickt zur Wortmeldung ermuntert und schließlich das Gesagte verständlich zusammenfasst, suchen die Beteiligten nach einem von allen akzeptierten Ergebnis. Dass sie sich in diesem Suchprozess wechselseitig widersprechen, heißt nicht, dass sie sich nicht respektieren, sondern ist gerade Ausdruck ihres Respekts.