Im Gespräch: Adam Zagajewski : Was denken Sie von Ihren Lesern, Herr Zagajewski?
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Bild: Illustration Burkhard Neie/xix
Wir treffen den bedeutendsten Lyriker Polens in einer Frankfurter Apfelweinkneipe. Er spricht entspannt über Dichtung und wie sie entsteht, wie er seine Bilder schreibt und warum Fotografen immer zu früh kommen.
Stanisław Baranczak hat 1975 einen Text geschrieben, der, ins Deutsche übertragen, „Die veränderte Stimme Settembrinis“ heißen könnte. Er unterscheidet dort zwischen Settembrini, dem Humanisten, der den Fortschritt und den hohen Stil liebt, und Naphta, dem ironischen Kritiker, der den hohen Stil verlacht, dessen Rede aber dennoch Leidenschaft erregen kann, also nicht bloß zerstörerisch ist. Auch Sie erwähnen diese beiden Figuren von Thomas Mann in Ihrer „Verteidigung der Leidenschaft“. Dort sprechen Sie auch über Czesław Miłosz, der sich darüber beklagt, unsere heutige Zeit würde sich mit metaphysischen Fragestellungen nicht mehr auseinandersetzen. Könnte nicht gerade die Dichtung ihre Stimme genau zwischen der Stimme des Humanisten und der Stimme des Ironikers erheben? Kann Dichtung einen Weg zeigen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Wenn ich ein Gedicht schreibe, dann habe ich keine abstrakten Formulierungen in meinem Kopf, sondern dann ist das intuitiv. Ob das Gedicht den Weg zeigt? Ja, für mich, wenn ich es schreibe, oder für den Leser vielleicht. Wenn ich hingegen einen Essay schreibe, dann scheint es mir, dass ich etwas mehr verstehe. Sie haben eine Stelle aus meinem Essay zitiert. Und dann aus dem Miłosz-Essay. Ich bin aber sehr skeptisch.
Skeptisch, dass Dichtung ein Weg sein kann?
Ja. Wir müssen uns auch darüber bewusst sein, wie wenig die Dichtung heute bedeutet. Wie wenige Leute sich mit der Dichtung beschäftigen.
Aber das kann doch kein Argument sein.
Ja, aber heute denke ich das. Das ist sicher kein Argument, aber heute bin ich ein bisschen minimalistisch.
Kommen wir zurück auf diese Gegenüberstellung von Settembrini und Naphta aus dem „Zauberberg“. Da ließe sich ja auch ein falscher Dualismus konstruieren: nämlich zwischen Ironie und einer konservativen Haltung. Dabei ist es doch eher der Gegensatz zwischen Ironie und hohem Stil, der interessant ist. Der Gegensatz zwischen demjenigen, der immer wieder anzweifelt, loslässt, aufgibt, verlacht, sich auf Distanz hält, und einem, der das Pathos liebt.
Ja, natürlich. Ironie und Konservatismus, das ist ein falscher Gegensatz. Ich glaube, dass der wahre Gegensatz zwischen dem Ironischen und zwischen dem Seriösen besteht. Ganz einfach. Nur dass die Ironie auch zu einer Weltanschauung werden kann, zu einer primitiven Weltanschauung, die alles negiert und die über alles lachen will. Ich weiß aber nicht, ob der alte Gegensatz zwischen Settembrini und Naphta noch immer gültig ist. Der Roman von Thomas Mann spielt vor dem Ersten Weltkrieg. Wir leben heute in einer anderen Welt. Naphta ist für Thomas Mann der Vertreter einer vortotalitären Weltanschauung und Settembrini der klassische Humanist. Diese Positionen haben wir heute nicht mehr. Es gibt im heutigen Europa, glaube ich, keine seriösen Leute mehr, die ernsthaft wieder an eine totalitäre Herrschaft glauben. Auch Settembrini ist heute keine lebendige Gestalt mehr. Die Frage ist: Was ist Humanismus heute? Und was können wir Humanisten?
Könnte es heute nicht einen Sieg für den Humanismus bedeuten, wenn der Humanist den Ironiker nicht erschießen muss?
Ein Sieg für den Humanismus wäre, wenn Humanisten sich behaupten. Denn Humanisten sind heute verdrängt, in die tiefste Defensive. Wenn sie beweisen könnten, dass der Humanismus immer noch wertvoll ist, dann ist das schon ein Sieg für den Humanismus. Ein Gedicht antwortet nicht auf diese großen Fragen. Ein Gedicht wächst aus einer besonderen Situation, aus dem Leben heraus.
Das Gedicht spricht vom Leben?
Nein, nicht vom Leben, es wächst aus dem Leben. Es spricht von verschiedenen Sachen. Es ist ein Traum darin. Eine Sehnsucht manchmal. Schwer zu sagen.