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Zum Tod von Johannes Willms : Stil als universale Kategorie

Johannes Willms, 1948 bis 2022 Bild: Isolde Ohlbaum/Laif

Er kannte den Unterschied zwischen Geist und Esprit, denn er hatte beides: Johannes Willms, der Historiker, Feuilletonist und Erfinder des „Literarischen Quartetts“, ist viel zu früh gestorben.

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          Johannes Willms ist gestorben, der Journalist, Publizist, Historiker – und so traurig diese Nachricht auch all jene stimmt, die das Glück hatten, mit ihm zu arbeiten, so ernst muss man sein Vermächtnis nehmen. Und zu den Dingen, die man lernen konnte von Johannes Willms, gehörte auch das: dass eine prächtige Trauerfeier das Mindeste sei.

          Claudius Seidl
          Redakteur im Feuilleton.

          In den Neunzigerjahren war Willms der Feuilletonchef der „Süddeutschen Zeitung“, und als, nahezu mittellos, eine Literaturkritikerin starb, rief Willms erst den Münchner Weihbischof an, jagte diesem dafür, dass er die Bücher der Verstorbenen nicht kannte, ein so schlechtes Gewissen ein, dass der Weihbischof zusagte, die Trauerfeier zu zelebrieren. Dann überredete er auf die gleiche Weise den Pfarrer der Asamkirche, dass der das Rokokogebäude zur Verfügung stellte. Und so bekam die Kollegin, die bescheiden gelebt hatte, eine umso feierlichere Messe.

          Ja, man konnte von Johannes Willms gut lernen, wie man lebt – und seine überdeutlich sichtbare Kompetenz in diesen Fragen, seine Weigerung, jemals Ernst und Schwere seinen Habitus bestimmen zu lassen, lenkte Freunde und Gegner zu häufig davon ab, wie ernst es ihm nicht nur mit dem Vergnügen war. Und wie viel Fleiß und Frühaufstehertum dazu gehörten, konsequent an jener Sache zu arbeiten, die Freunde und Gegner dann, wenn sie gelang, das Champa­gnerfeuilleton nannten.

          Der Erfinder des „Literarischen Quartetts“

          Richtig daran war, dass im Feuilletonchefzimmer immer gekühlter Champagner bereitstand. Wichtiger daran war aber, dass Willms seine geistige Kraft, seine intellektuellen Maßstäbe, seine Vorstellung von Vollkommenheit aus französischer Kultur, vor allem aus der französischen Aufklärung, schöpfte. Er wusste, dass Geist und Esprit nicht dasselbe sind, schon weil er beides hatte. Und die Leidenschaft, mit der er Bücher über die beiden Napoleons, über Balzac und Stendhal und über Paris als „Hauptstadt Europas“ schrieb, zeugten nicht etwa davon, dass er aus der deutschen Gegenwart sich hätte flüchten wollen in eine französische Vergangenheit. Eher ging es ihm darum, dass, was dort verhandelt wurde, die Politik und die Poetik der bürgerlichen Gesellschaft, in Deutschland noch längst nicht abgeschlossen war. Willms war promovierter Historiker. Aber man muss nur seine Bismarck-Biographie zur Hand nehmen, um zu erkennen, dass es ihm auch hier darum ging, die Vorgeschichte und die Ungelöstheit ganz gegenwärtiger Konflikte zu veranschaulichen.

          Bevor Willms zur „Süddeutschen“ kam, war er Chef und Moderator der Fernsehkultursendung „Aspekte“ gewesen, eine provokante Figur schon deshalb, weil er, meistens gut gelaunt und sehr anständig gekleidet, dort eine Generation von grimmigen Kulturpessimisten abgelöst hatte. Und wie optimistisch Willms dagegen sowohl sein Medium wie auch die Kultur betrachtete, bewies er in den späten Achtzigern. Es war Willms, der sich das „Literarische Quartett“ ausdachte.

          Es war er, der Marcel Reich-Ranicki überredete, dessen Leitung zu übernehmen. Und als Reich-Ranicki die Bedingung stellte, dass nichts, keine Einspielfilmchen, kein Bühnenschnickschnack, von den Worten ablenken dürfe, war es Willms, der ganz auf Reich-Ranickis Qualitäten als Performer vertraute.

          Und genau so wünschte sich Willms, als er dann zur Zeitung gegangen war, das gedruckte Feuilleton, denn er war davon überzeugt, dass man dem Publikum sehr viel Konzentration und Intelligenz abverlangen könne, wenn man die Leute nur nicht langweilte. Die von ihm erfundenen Serien, die „Verblassten Mythen“ und die „Zeitgemäßen Physiologien“, borgten sich aus Frankreich den Esprit und eine gewisse, den deutschen Verhältnissen sehr angemessene Blasiertheit. Und brachten doch im Glücksfall den Geist des Moments auf den Begriff. Man musste absolut modern sein, wenn man diese Formen füllen wollte.

          Ach, Johannes Willms machte nie ein Drama aus seinem Wissen; es stand ihm halt zur Verfügung, und wenn man ihn fragte, empfahl er immer das richtige Buch. So wie er einem frisch zur Seriosität gekommenen Politiker, der von Willms für seine Anzüge gelobt werden wollte, empfahl, statt der Socken endlich Strümpfe zu tragen. Stil, das konnte man von ihm lernen, ist eine universale Kategorie. Jetzt ist Johannes Willms gestorben, viel zu früh. Er wurde 74 Jahre alt.

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