Heidegger-Konferenz : Ein Kongress der Weißwäscher?
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Wessen Geistes Kind war er wirklich? Die Debatte um Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus ebbt nicht ab. Bild: ASSOCIATED PRESS
In Paris wird über Martin Heidegger und „die Juden“ debattiert, und schon vorab gibt es heftige Polemik. Dem Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ wirft man Scheinheiligkeit vor.
Wie kann man nicht Heideggerianer sein?“, wird Alain Finkielkraut heute, am Donnerstag, in der Pariser Bibliothèque Nationale de France erklären. Er macht den Auftakt zum Kongress mit dem Generalthema „Heidegger und ,die Juden‘“. Auch Peter Sloterdijk („Heideggers Politik“) und Peter Trawny, Herausgeber der „Schwarzen Hefte“, kommen zu Wort. Am Samstag wird der Fall im „Centre Culturel Irlandais“ auf Englisch weiterverhandelt. Der Sonntag bringt ein Referat über „Heideggers Spieldose - von den Schwarzen Heften zu den Protokollen der Weisen von Zion“. Um 20 Uhr wird Bernard-Henri Lévy den Kreis der ersten und letzten Frage schließen und seine Bilanz ziehen: „Wie kann man Heideggerianer sein?“
Sein oder nicht sein: eine französische Gretchenfrage. Die Publikation der „Schwarzen Hefte“ war ein schwerer Schlag für die linken und rechten Meisterdenker zweier Generationen. Der Einfluss Heideggers auf die Philosophen von Sartre bis Derrida, auf Dichter wie René Char, auf die Grünen und die Neofaschisten der Nouvelle Droite und auch noch auf die vom Marxismus bekehrten Intellektuellen der antitotalitären Aufklärung (Lévy, André Glucksmann) ist unbestritten. In François Fédier hat er seinen ergebensten Gralshüter gefunden. Es passt ins Bild der merkwürdigen Rezeption, dass Heideggers wichtigster Vermittler nach Frankreich, der Philosoph Jean Beaufret, ein unverhohlener Sympathisant der Auschwitz-Lügen von Robert Faurisson war und ihm schrieb, er sei zu den „gleichen Einsichten gekommen“.
Verbreiteter Glaube an heimlichen Widerstand
„Das Jahr des Schiffbruchs“ überschrieb „Le Monde“ eine Rezension der Zeitschrift „Critique“, die im Dezember eine Bestandsaufnahme vorlegte, bei der „gewisse französische Spezialisten“, wie es in „Le Monde“ hieß, offenbar nicht mitmachen wollten. Das Heft enthält eine Rezension der „Conférence de Heidelberg (1988)“, an der Hans-Georg Gadamer, Derrida und Philippe Lacoue-Labarthe teilnahmen. Organisiert wurde sie von der damaligen französischen Kulturattachée Mireille Calle-Gruber, die ihre eigene Mitschrift im Nachlass von Derrida fand. Erst jetzt wurden die Voten erstmals gedruckt. Der Heidelberger Kongress war eine Antwort auf Víctor Farías’ Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“.
Die in Siegen lehrende Sidonie Kellerer, in beiden Kulturen gleichermaßen zu Hause, fasst den Standpunkt des Derrida-Schülers zusammen: Für Lacoue-La-barthe habe Heidegger begriffen, „dass die Shoah den Höhepunkt der aufklärerischen Moderne darstelle“. Heidegger habe „uns zu denken gelehrt, worum es - aus philosophischer Sicht - im Faschismus überhaupt geht“. Kellerer zielt - in „Critique“ wie im deutschen „Philosophie Magazin“ (Januar) - in den Kern des französischen Nachkriegsdenkens, das mit der Dekonstruktion den Rationalismus erschütterte. Das geschah unter dem Einfluss Heideggers, den die Franzosen im Widerstand, Sartre in der deutschen Gefangenschaft entdeckt hatte und von dem Beaufret sagte, er habe ihn erstmals an jenem Morgen, da die Alliierten in der Normandie landeten, verstanden. Noch immer „glauben renommierte Heidegger-Experten an seine Zeit des ,heimlichen Widerstands‘“, schreibt Sidonie Kellerer, „und sehen es als seine wichtigste Erkenntnis aus der Zeit des NS an, die Aufklärung als Ursprung der Schoa verstanden zu haben“.