Handy-Kultur : Der diskrete Charme der kleinen Form: Poesie per SMS
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SMS: Literatur in 160 Zeichen Bild:
Im Sommer konnten siebzehn Autoren per SMS zu Kurztexten von höchstens 160 Zeichen aufgefordert werden. Die Dichterworte, sind bis heute auf der Seite „www.smservices.de“ abrufbar.
In München ist das Wetter im Sommer fast immer schön ist. Im Sommer verbringt der Dichter die Nachmittage hier lieber unter freiem Himmel, an einem schattigen Plätzchen oder wo er gerade will, als in der Dichterstube oder in der Buchhandlung.
Weil der Dichter im Sommer aber dennoch nicht darauf verzichten will, seine dichterische Dienstleistung anzubieten, weil er sie sozusagen, ortlos anbieten will, hat das Medienforum München in diesem letzten Sommer die Initiative ergriffen.
Dichterwort per SMS
Von einem Rechner in der Rathausgalerie konnten Ausstellungsbesucher an einen angeschlossenen Dichter ihrer Wahl eine SMS, einen maximal 160 Zeichen langen Text also, auf dessen Handy schicken. Der antwortete, derart angeregt und aufgefordert, mit einer eben solchen SMS, die auf der dem Projekt angeschlossenen Website „www.smservices.de“ bis heute abrufbar ist.
Die SMS, die die Aufforderung zur Antwort enthielt, und bestimmt noch mehr als das: einen eigenen Eindruck, eine Frage oder eine Provokation zum Beispiel, ist nicht überliefert. So stehen die Kurztexte eher unverbunden, nach Autoren sortiert, untereinander. Dabei erscheint der jüngste Text zuerst. Das klingt zunächst einleuchtend, führt aber zur Verwirrung, wenn ein Dichter die Fesseln der 160 Zeichen sprengt und kurzerhand mit zwei aufeinander folgenden SMS-Nachrichten antwortet, die dann aber von unten nach oben gelesen werden müssen.
Vier Wochen und siebzehn Dichter
Vier Wochen im Juni 2000 dauerte das Projekt, ein Zeitplan informierte darüber, an welchen Tagen welche der insgesamt 17 Dichter angeschlossen waren. Zu ihnen zählten bekanntere jüngere Autoren wie Andreas Neumeister und Ulrike Draesner ebenso, wie der Kolumnist und Popkritiker Karl Bruckmaier, der Lyriker Ulrich Bauer-Staeb oder das literarische Kollektiv „schlampe“.
160 Zeichen
160 Zeichen sind wenig. Der Platz wird knapp, wenn Schriftsteller versuchen, in ihnen alles zu zeigen, was ihre längeren Formen ausmacht: Witz, Bezugsreichtum, Zitatenschatz: Die SMS ist weniger als eine Skizze. Sie ist eine Skizze mit einem Stift, dem nach 10 Zentimeter Strecke die Tinte ausgeht. Kein Platz für Tiefschürfendes, das ohne Anlass sonst seltsam bezugslos auf den Seiten steht. „Kompr. sind abhaengig vom Grad der Verschwoerung“, wie der in München lebende griechische Schriftsteller Costas Gianacacos feststellt, mag zutreffen, bleibt aber assoziationslos und damit literarisch irrelevant.
Nach Ulrike Draesners letzter Nachricht „of muse tales, amusing tails, taleheads and teils of words - that\'s the end“ hätte wohl niemand eine Antwort gewusst oder einen Neuanfang gewagt. „I wish you would write me a long long letter“, seufzt dann auch „Schlampe“ - und der Seufzer über die Kürze der SMS-Form ist ihre anzuhören. Halbe Dialoge, die wie halbe Brücken ins Nichts ragen. Wahrscheinlich bergen die unveröffentlichten Anregungen die stärkeren Texte. Darauf weist eine SMS hin, die von außen auf das Gästebuch dieser Seite gesendet und anonym veröffentlicht wurde: „schwüle am chinesischen turm alles pappt, überall abgenagte hunerbeine eine schöne schaut mich strahlend an. Was jetzt?“
Die Qual der kleinen Form
Ähnlich wie der Haiku, der im Deutschunterricht höherer Schulen regelmäßig zuerst missverstanden und dann selbst gemacht wird, ist die SMS-Poesie eine Form der Beschränkung. In ihr gilt, mit gezeigter Leichtigkeit eine Sentenz zu schaffen, die in ihrer Aussage über 160 Zeichen reicht, ohne sich an ihnen zu stoßen. Dass das nicht leicht ist, zumal für Dichter, die sich beobachtet fühlen, zeigt der „Smservice“.