Gute Deutsche : Die Bundesrettungsrepublik
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Bild: Kat Menschik
Es ist an der Zeit, die Westdeutschen zu loben. Vor mehr als zwanzig Jahren haben sie den Osten gerettet, jetzt retten sie gleich ganz Europa. Warum so selbstlos? Eine Spekulation.
Vor mehr als zwanzig Jahren fuhren meine Eltern, mein Bruder und ich nach Westberlin, um einen Währungsbetrug zu begehen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Monat, es wird Januar oder Februar gewesen sein. Mein Bruder und ich trugen dicke Anoraks aus dem Kaufhaus für Jugendmode, mein Vater trug eine Fellmütze und seinen alten Parka, was meine Mutter anhatte, weiß ich nicht mehr. Sie hatte uns, was das anging, keine besonderen Anweisungen ausgegeben. Vermutlich wussten wir von allein, dass an diesem Tag für Kleidung dasselbe galt wie für Verhalten - bloß schön unauffällig.
Es war die kurze Zeit, in der es noch zwei deutsche Staaten gab, man aber schon frei zwischen ihnen hin- und herreisen konnte. Das erste Mal waren wir kurz nach dem Mauerfall im Westen gewesen, wo mein Vater Verwandte hatte. Wir waren mit unserem Lada gefahren, aber viel zu früh aufgebrochen, weshalb wir im Morgengrauen noch zwei Stunden mit beschlagenen Scheiben bei den Verwandten in der Auffahrt standen, bevor wir uns zu klingeln trauten. Das zweite Mal reisten wir dann während eines Skiurlaubs, den wir noch über den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund gebucht hatten, von Thüringen aus nach Bayern ein, hauptsächlich um das Begrüßungsgeld abzuholen. Wir warteten in einer Schlange vor einem Einwohnermeldeamt, und als wir wieder draußen waren, fiel meiner Mutter auf, dass die Zahlstelle nirgends unsere Namen notiert hatte. Nur in unseren Reisepässen gab es einen Vermerk. Theoretisch hätten wir uns mit unserem Personalausweis gleich noch einmal anstellen können. Aber damals waren wir noch nicht so weit.
Die Fahrt nach Berlin sollte unsere dritte Reise in den Westen sein. Diesmal wollten wir schon nach ein paar Stunden wieder zurück sein, eine Stadtrundfahrt stand gar nicht erst auf dem Programm. Im Nachhinein muss es so aussehen, als habe uns am Westen, je besser wir ihn kennenlernten, um so mehr nur das Geld interessiert. Aber das zählte für viele Ostdeutschen anfangs ja auch unter Sehenswürdigkeit. Etwas, das sich kostenlos besichtigen ließ und dann dablieb, während man wieder nach Hause fuhr.
Es war alles ganz irre
Es war nicht so, dass wir für die Verhältnisse unseres Landes arm gewesen wären. Meine Eltern arbeiteten beide und verdienten gut. Wir wohnten in einem Bauernhof, auf dem wir jedes Jahr zwei Schweine mästeten, von denen wir eins schlachteten und das andere verkauften. In unserem Garten zogen wir Gurken, Kohlrabi und Blumenkohl. Die Bäume gaben mehr Obst, als wir essen konnten. Ich erinnere mich nicht, dass Geld in unserer Familie je ein Thema gewesen wäre. Außer während dieses unsagbar schönen Bulgarienurlaubs, für den meine Eltern einen gebrauchten Campinganhänger gekauft hatten, besaßen sie weder zu viel noch zu wenig davon. Sie dachten über ihr Geld nicht nach, bis die bevorstehende Währungsunion sie darauf hinwies, dass es Ostgeld war.
In dieser Zeit, es muss Weihnachten 1989 gewesen sein, füllten sich die Geschäfte unserer Kleinstadt auf einmal mit Dingen, die wir dort nie zuvor gesehen hatten, obwohl sie in volkseigenen Betrieben hergestellt wurden. Ich meine nicht nur die leeren Musikkassetten, die ich, ehrlich gesagt, schon gut hätte gebrauchen können, bevor ich für den Mitschnitt eines Depeche-Mode-Konzerts im Westradio meine alten Märchenkassetten überspielen musste. Ich meine auch Radios, Fernseher und sogar Videorekorder, angeblich aus japanischer Lizenz. Sie kosteten zehntausend Mark, mehr als ein halber Trabant, aber die Leute standen Schlange dafür. Es war alles ganz irre.