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Neue Koalitionen : Neogrün

  • -Aktualisiert am

Das neue politische Quartett: Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck Bild: via REUTERS

Prosit, Christian – wir haben die Volksparteien abgeschafft: Baerbock, Lindner, Habeck und Wissing sind jetzt die Star-Kellner in der neuen Berliner Sterneküche. Aber was haben Weltenbrand und Porschewerbung miteinander zu tun?

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          Das ist so ein Bild, das später in den Jahresrückblicken auftaucht. Das prangt dann auf den Titelseiten der Magazine, wenn es heißt „Das war 2021“: Baerbock, Lindner, Habeck und Wissing – die vier Kellner aus der neuen Berliner Sterneküche – stehen kurz vor Mitternacht an einem geheimen Ort und stecken die Köpfe zusammen. Weit und breit ist kein Koch in Sicht, deshalb ist die Laune gut und die Garderobe le­ger. Schwarz tragen die Grünen, weiß die Gelben, Lindner hat noch schnell sein Hahnentrittjackett über das Poloshirt gezogen. Sie lächeln nicht, sie schmunzeln. Siegessicher, natürlich. Denn sie sind ja die Zukunft, auf sie kommt es jetzt an: zwei Kleine sind größer als ein Großer – Grüne und FDP haben bei der Wahl zusammen mehr Mandate errungen als eine der alten Koch-Parteien. „Prosit, Chris­ti­an, wir haben die Volksparteien abgeschafft.“

          Man könnte auch sagen: Ihr habt das arme Volk durch eure teuren Programme ersetzt. Deshalb könnt ihr jetzt auch so leger miteinander verhandeln und Arm in Arm über Brücken gehen, weil ihr euch über Repräsentation keine Gedanken mehr ma­chen müsst. Beide Parteien ha­ben im Grunde ja den gleichen Nenner: den ungeheuren Wohlstand Deutschlands. Das bestens umsorgt-besorgte Gewissen. Die neogrüne Blume auf einem blühend satten Land. Ist doch hervorragend für die Demokratie, rufen die neuen Macher, die politischen Notare, von denen bald auch einer an der Staatsspitze stehen wird, ist doch hervorragend, wenn man Gegensätze vereinen kann. Ruhig und sachlich miteinander redet und zu dem Schluss kommt, dass Moral und Reichtum, Klima und Kapitalismus, Weltenbrand und Porschewerbung viel mehr miteinander gemein haben, als manch einer gedacht hätte.

          Für Fragen aus dem Publikum ist keine Zeit

          Was ist das für ein Bild? Eine Trophäe des Zeitgeistes? In jedem Fall ein Beweisfoto für künftige Archivare: Es ging uns einmal sehr gut. Nie saß in Deutschland die Mitte tiefer in ihrem Sessel. Nie war die Lage intellektuell übersichtlicher. Strategien, nicht Ideologien bestimmen jetzt das Geschäft. Dazu passt, dass das neue politische Quartett seine Nachrichten lieber direkt auf Instagram als über kritische Journalisten verbreitet – da kann man seine Geschichte selbst erzählen und sich mit ein paar synchron verbreiteten Zeilen als geschlossen präsentieren. Für Fragen aus dem Publikum war leider keine Zeit. Was dieses Bild vor allem ausdrückt: staatsverträgliche Saturiertheit.

          Das sind vier erfolgreiche Studienfreunde, die sich am Ende eines netten Abends mit Sushi-Platte und Aesop-Geruch im Badezimmer kurz vor der Wohnungstür noch einmal umdrehen, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Als Gedächtnisstütze an jenen Abend, als man bei Matchatee und Mangoeis darüber eins wurde, dass der Klassenkampf dem Klima einfach wirklich nicht guttue.

          Simon Strauß
          Redakteur im Feuilleton.

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