Preis für Roberto Saviano : Von Männern, die sterben wollen
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„In der Mafia verbindet sich der höchstmögliche Grad wirtschaftlicher Entwicklung mit der untersten Stufe kultureller Entwicklung“, sagt Roberto Saviano. Bild: Getty
Roberto Saviano hat uns die Mafia erklärt. Seit sein Buch „Gomorrha“ vor zehn Jahren erschienen ist, lebt er unter Polizeischutz. Jetzt sagt er, was Mafiosi und Islamisten gemein haben.
Seine liebste Romanfigur? Roberto Saviano stockt und lässt die Hände sinken, mit denen er eben noch voll süditalienischer Verve jede seiner vor Detailkenntnissen strotzenden Ausführungen begleitet hat – über den internationalen Drogenhandel, die Anpassungsfähigkeit der Camorra, über albanische Mafiosi und islamistische Terroristen in Molenbeek, den kriminellen Kult der Todessehnsucht und alles andere, was er in den zehn Jahren seit dem Erscheinen seiner Recherche „Gomorrha“ an Erkenntnissen über die Welt des organisierten Verbrechens aufgesogen hat. Saviano kann zu jedem Aspekt aus dem Stegreif extemporieren, und er ist ein guter Erzähler, präzise, engagiert, eloquent; schon die körperliche Grundspannung, mit der er an diesem Nachmittag in einem Berliner Hotelsessel sitzt, drückt aus: Hier geht es um etwas, hört mir zu.
Für Saviano geht es um alles. Seit der gebürtige Neapolitaner 2006 mit gerade einmal Mitte zwanzig in seinem Buch über das Imperium der Camorra Namen nannte, Zusammenhänge aufzeigte und Bosse anprangerte, wird er von der Mafia mit dem Tod bedroht und lebt unter Polizeischutz an wechselnden Orten. Aufgehört, zu publizieren, hat er dennoch nicht, im Gegenteil: vier Mafia-Bücher folgten, das fünfte kommt im Dezember heraus – „La paranza dei bambini“, ein Tatsachenroman über den Krieg der „Baby-Mafiosi“ in Neapel. Saviano schreibt für „L’Espresso“, „La Repubblica“ und hatte eine Talkshow im italienischen Fernsehen, „Gomorrha“ wurde fürs Kino verfilmt und zur vielbeachteten Fernsehserie, jeweils unter Mitarbeit des Autors. Auf diese Weise erreicht er Millionen Leser und Zuschauer weltweit.
Ein Leben im Versteck
Der Preis ist hoch: Ein Leben in Verstecken und das Wissen darum, dass seine Familie fast in gleicher Weise belastet ist, wie er selbst. Saviano entzieht sich dem Druck, indem er Zeit in Amerika verbringt. Am Morgen erst ist er von dort angereist, um in Potsdam den renommierten „Preis der europäischen Presse“ des Medientreffens M100 Sanssouci Colloquiums entgegenzunehmen. Für einen wie Saviano ist die undotierte Würdigung, die vor ihm unter anderem dem dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard und der von islamistischen Attentätern heimgesuchten Redaktion von „Charlie Hebdo“ zuteilwurde, ein wichtiges Zeichen, dass er nicht vergessen ist. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bleiben ist sein bester Schutz. „Gomorrha“ hat ihn zum Gefangenen einer Geschichte gemacht, die nicht er, sondern die Mafia fortschreibt, wenn sich Saviano nicht immer wieder neu zu Wort meldet.
So sieht er es. Und sagt: „Meine liebste literarische Figur ist der Graf von Monte Christo.“ Unschuldig in Festungshaft, von Rachegefühlen zerfressen und am Ende frei – man ahnt, warum Saviano viel mit diesem Charakter anfangen kann. Wenn er etwas gelernt habe in den Jahren seit „Gomorrha“, dann seien das zwei Dinge: „Die Menschheit ist sehr viel schlechter, als ich dachte. Und über die Mafia zu reden ruiniert dein Leben.“ Immer wieder habe er erlebt, wie in Italien das Gesetz des Schweigens zuschlage. Oder es hieß: Das kann nicht stimmen, völlig übertrieben, apokalyptisches Geschwätz, das dem Ansehen des Landes schade. In Neapel wurde im Prozess gegen den Paten, der Saviano neben anderen gedroht hatte, am Ende der Anwalt des Mafioso verurteilt, nicht der Boss, in dessen Auftrag er handelte. Andernorts halte man das Wirken der Mafia immer noch für eine Art folkloristisches, lokal begrenztes Problem.
Die Mafia macht Politik
Warum also schreiben? Weil es eben doch etwas verändere, zumindest in den Köpfen all derer, die sich von ihm die Mechanismen der jeden anderen Wirtschaftsbereich an Kapitalmacht in den Schatten stellenden Verbrechensökonomie erklären ließen und begriffen, dass Geld aus Kokain nicht nur Ferraris irgendwelcher Gangster finanziere, sondern in Kapitalmärkte fließe – und Politik mache. Mafia, das ist für Saviano heute ein Synonym für Turbokapitalismus bar moralischer Schranken.