Glosse : Der Chef
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Michail Gorbatschow Bild: dapd
Früher lösten Chefs in ihrem Umfeld zitternde Hände und verhaspelte Berichte aus. Heute ist das überwunden. Denn fast jeder Chef hat wieder einen Chef.
Ein richtiger Chef, hat Carla Bruni vor Jahren festgestellt, das ist einer, der „über Atommacht verfügt.“ Und da sie so einen auch zum Mann wollte, engte es ihre Optionen in Paris auf exakt eine Person ein. Das hat jedenfalls geklappt, aber böse Blogger feixen seitdem, bei jeder Begegnung seiner Frau mit Barack Obama werde Sarkozy noch nervöser als ohnehin schon, aber wer will diese Steigerungsgrade noch messen? Das Chefsein in diesen nuklearen Dimensionen verändert den Menschen und vor allem jene, die ihm begegnen. Ich stand mal in einem Fernsehstudio dem früheren Atomchef Michail Gorbatschow gegenüber und wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
Da verlangte er nach Kaffee, was im Russischen wie Kaffee klingt und sofortige Aktionen meinerseits auslöste - eine fordernde Kremlchefstimme dringt direkt ins Rückenmark, man agiert und fuchtelt, noch bevor sich das Hirn einschaltet. Jedenfalls hielt ich die Kanne in der Hand und goss und goss, mit frischem Schwung etwa zehn Zentimeter neben die Tasse, ein echter Schlamassel. Gorbatschow antwortete wortreich und mit einem noch aussagekräftigeren Blick: So gehe es ihm dauernd.
Alles im Rahmen
Der Auftritt des Chefs gebiert Fehlleistungen. Ihm zugedachte Teller gehen vor der Landung auf dem Tisch zu Boden, Gläser werden umgestoßen, Botschafter stammeln, Wachsoldaten fallen in Ohnmacht, das ganze Chefleben eine Parade zitternder Hände und verhaspelter Berichte. Doch diese Zeiten und Verhältnisse sind überwunden, heute hat jeder Chef wieder einen Chef, so bleibt alles im Rahmen.
Als ich mal für eine Studie nach dem Typus eines Chefs suchte, der selbst keinen mehr hat, wandte ich mich an einen echten Mann von Welt, den französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy. Wir gingen alle seine Bekannten in allen Branchen auf allen fünf Kontinenten durch, aber überall waren die nominellen Chefs in Wahrheit Quartalssklaven der Aktionäre, Wähler, Spender. Schließlich strahlte er: „Schreiben Sie doch einfach über mich!“ Das ist ihm eh immer das Liebste, aber stimmt schon - ein Philosoph hat keinen Chef. Obwohl er, wenn er gern und oft in den Medien vorkommen möchte, mehr und heftiger telefonieren muss als ein mittlerer Versicherungsverticker. Im Amerikanischen hat der Begriff die schönste Bedeutung, da steht er für Koch. Sein Machtbereich ist tellergroß und jeder Gast prüft täglich die Leistung.