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Rudolf Schlichter „Margot“ Berlin, 1924, Öl auf Leinwand Copyright: Viola Roehr von Alvensleben Foto: Michael Setzpfandt

Wie nah und fern uns diese Zeit doch ist

Von STEFAN TRINKS
Rudolf Schlichter „Margot“ Berlin, 1924, Öl auf Leinwand Copyright: Viola Roehr von Alvensleben Foto: Michael Setzpfandt

27.10.2017 · Zersplitterte Gesellschaft: Die Frankfurter Schirn zeigt mit „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ die Kunst der Jahre, in denen Deutschlands Zukunft noch offen war.

D ie Weimarer Republik – keine Zeit war in ihrer schillernden Ambivalenz und Doppelbödigkeit so nah an Erfahrungen, wie sie die jüngere Vergangenheit mit sich bringt. Schon im Treppenhaus der Frankfurter Schirn zeigen die mit Wahlplakaten der Weimarer Republik bedeckten Wände die politische Zersplitterung jener Zeit an. Rot dominiert, es fehlt auf keinem der Plakate. Ironischerweise prangt auf dem SPD-Plakat „Gegen Bürgerblock und Hakenkreuz“ der Stempel des NSDAP-Hauptarchivs mit Hakenkreuz: Penibel sammelte die NS-Behörde die Bildpropaganda der Gegner zur Dokumentation.

Gleich im ersten Raum bildet Horst Naumanns zwiespältiges Bild „Weimarer Fasching“ von 1928/29 den Prolog und damit auch das Motto der knapp zweihundert gezeigten Werke. Ein Krieger im flammenroten Rock steht im Zentrum. Auf seinem Stahlhelm zeigt die Färbung eines Hakenkreuzes wie im Zeitraffer die Etappen der Weimarer Republik an – von Schwarz-Weiß-Rot über Schwarz-Rot-Gold zu nationalsozialistischem Dunkelrot. Wie ein Kaleidoskop splittern sich die Facetten der Schau um ihn herum auf: der Krieg und seine Phantomschmerzen, die große Politik zwischen Hindenburg und Ebert, die Hochfinanz und der ganzkörpertätowierte Proletarier, Brot und Boxspiele, Zeppelin und elektrischer Stuhl, Klerus und Varieté.

Horst Naumann „Weimarer Fasching“ um 1928/29, Öl auf Leinwand Copyright: Nachlass Naumann, Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden Elke Estel / Hans-Peter Klut

Die Weimarer Republik wird meist, ungerecht, von ihrem Ende her gesehen. Allerdings nimmt man mit Erstaunen wahr, wie hellsichtig Künstler bereits seit 1921 ihren Bildern immer wieder das Hakenkreuz als Menetekel einschrieben. Georg Scholz malte früh „Hakenkreuzritter“ im Café. Auf seinem Bild „Kriegerverein“ von 1922 trägt einer von drei Professor Unrats die Swastika als Abzeichen – vor der Folie eines Kleinstadtidylls mit Stammlokal „Zum eisernen Hindenburg“ und blütenweißer Kirche, vor Werbeplakaten für „Sunlight Seife“, die Frankfurter Messe und „Rettet Oberschlesien!“. Deutlich wird: Das Unheil naht früh von allen Seiten; es ist unabhängig vom Stand und kriecht aus der Provinz ebenso wie aus der Großstadt. Die drei Industriekapitäne auf Scholz’ „Von kommenden Dingen“, ebenfalls von 1922, bringen die folgenden elf Jahre auf eine ökonomische Formel: Vor der Kulisse einer kubistischen Fabrikstadt steht links der Arbeiterführer Carl Legien nahezu ohne Distanz den Großindustriellen Hugo Stinnes und Walther Rathenau gegenüber. Der gezückte Rechenstift in Legiens Hand ist wie eine Spritze angespitzt; der Gewerkschafter hatte für die Arbeiter 1918 den Achtstundentag erkämpft und später zurückgenommen. Die karikaturhafte Zuspitzung lässt Rathenaus Profil zum Stereotyp entgleisen. Unheimlich zieht der Rauch der Schlote kerzengerade nach oben.

Otto Dix „Dame mit Nerz und Schleier“, 1920, Öl und Tempera auf Leinwand Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Die folgenden Kapitel, „Die neue Frau“ und „Prostitution als wachsendes gesellschaftliches Phänomen“, wirken auf den ersten Blick ohne tieferen Zusammenhang, aber in der Rückschau zieht sich ein inneres Band durch alle Bereiche und Themen der Ausstellung. Auch wenn die lemminghafte Masse der Frauen in Karl Völkers „Kaffeehaus“ mit ihren zerknautschten Gesichtern abgearbeitet aussieht, ist der Kaffee doch ein kurzes Innehalten und Genuss für ein Kollektiv, das entschlossen scheint, sich nicht aufzugeben. Das irisierende Rosa der spannungsreich in die Bildkomposition gesetzten Bauhaus-Wände wird durch das Grau der getragenen Stoffe nur noch gesteigert. Nur scheinbar absurd ist es, wenn das älteste Gewerbe der Welt zu den Modernitätsschüben der Weimarer Republik gerechnet wird: Aus blanker Not verdreifachte sich nach dem Ersten Weltkrieg die Zahl der Prostituierten in den Städten. Gerade aber Künstlerinnen wie Jeanne Mammen, Dodo oder Elfriede Lohse-Wächtler, die sogar eine Zeitlang auf St. Pauli in Hamburg wohnte, liefern nun, wie zuvor etwa Henri de Toulouse-Lautrec, auch schonungslos eindrückliche Milieustudien. Die „Dame mit Schleier und Nerz“ von Otto Dix kommt nicht von ungefähr im Gewand von Leonardos „Dame mit Hermelin“ daher – nur dass die Nerzstola die Frau offenbar beißt.

In ihren Frauenbildern ist die Weimarer Republik vermutlich die freieste Epoche der Kunst. Das Thema ist beileibe nicht neu, aber auch dabei sind Entdeckungen zu machen: Die zu Unrecht vergessene Hilde Rakebrand mit ihrem „Selbstbildnis mit Maus“ straft, buchstäblich spielend, das Klischee der Frauenangst vor Nagetieren Lügen. Altmeisterlich gemalt, ohne altbacken zu wirken, setzt Rakebrand die Maserung des hölzernen Bildträgers derart augentäuscherisch ein, dass man die Stofflichkeiten ihres Pelzmantels, Halstuchs oder Baretts befühlen will.

Hilke Rakebrand „Selbstbildnis mit Maus“, 1931, Öl auf Sperrholz Copyright: Joachim Menzhausen, Foto: Franz Zadnicek
Kate Diehn-Bitt „Selbstbildnis mit Sohn“, 1933, Öl auf Sperrholz Copyright: Nachlass Kate Diehn-Bitt, Kunstmuseum Ahrenshoop
Elfriede Lohse-Wächtler „Die Zigarettenpause“ (Selbstbildnis), 1931, Aquarell über Bleistift Copyright: Nachlassverwaltung Elfriede Lohse-Wächtler

Von surrealer Perfektion wirkt Lotte Lasersteins androgynes „Selbstporträt mit Katze“; Werner Tübke hätte es sechzig Jahre später kaum anders gemalt. Im Abschnitt „Sport in der Weimarer Republik“ halten Max Oppenheimers „Sechstagerennen“ wie auch „Der Läufer Nurmi“ der Renée Sintenis die Zuschauer in Atem – handelt es sich doch um futuristische Bewegtbilder in alten Medien, die ihre Energie greif- und sichtbar übermitteln. Rudolf Bellings Bildnis von Max Schmeling in athletengeölter Bronze boxt auch heute noch mitten ins Auge des Betrachters.

Die Reduktion auf wenige Oberthemen wie „Prostitution“, „Sport“ oder „Paragraph 175 und 218“ könnte zu eng erscheinen, gäbe es in diesem Bilderkaleidoskop und der multifokalen Ausstellungsarchitektur nicht permanent die Möglichkeit zu Querverbindungen und Entdeckungen. Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr, und wenn es eine Epoche der Kunst gibt, von der dies zu erfahren ist, dann ist es die Weimarer Republik. Dass die „Neue Frau“ am Ende ein – visuelles – Konstrukt blieb, das den gesellschaftlichen Realitäten nicht standhielt, können Schrägblicke auf die Bilder schwangerer und abtreibender Frauen zeigen, wie Hanna Nagels erschütternde Schilderungen der Folgen von Paragraph 218.

Dass die „Stählerne Romantik“ der Maschineneuphorie dieser Jahre viel mit der von links wie von rechts propagierten Stählung der Körper zu tun hat, zeigt in der Ausstellung der Film „Wege zu Kraft und Schönheit“ von 1925, der mit seinen nackten Skiläuferinnen die ästhetische Blaupause für Leni Riefenstahls Filme abgeben könnte. Selbst Karl Hofers roh gespachtelte „Tiller-Girls“ wirken, als hätte Paul Gauguin für Ernst Ludwig Kirchner zwei Marionetten geschnitzt. Mit ihrem pseudomilitärischen Gleichklang fanden die Revuetänzerinnen begeisterte Verehrer, weil sie wie im Takt von Maschinen tanzten. Entsprechend werden die Maschinen und Metropolis-Fabriken im Roboterfieber der zwanziger Jahre häufig verlebendigt.

Max Oppenheimer „Sechstagerennen“, um 1929, Öl auf Leinwand Foto: Karen Bartsch

Weite Teile der Bevölkerung aber verunsicherte die Rasanz der grundstürzenden technischen Innovationen. Das „Bahnwärterhaus“ von Georg Scholz aus dem jahr 1925 nimmt in seiner surrealen Lichtstimmung die unbehagliche Atmosphäre von Edward Hoppers Bildern vorweg. Erst recht ist Franz Radziwills Landschaft mit Flugzeugkatastrophe aus dem Jahr 1928, betitelt „Der Todessturz Karl Buchstätters“, nachgerade kafkaesk zu nennen. Radziwill berauscht sich am Abstürzen und am Scheitern, an apokalyptisch überbordender Symbolik, die das Elend des „Dritten Reichs“ früh schon vorhergesehen haben will – und die er später als seinen gemalten Persilschein zu nutzen wusste. Die wie Flakrohre gen Himmel gerichteten Bahnschranken scheinen den Flieger abgeschossen zu haben, das Geschütz wird dabei bedient von der metallenen Verankerung der Bahnschranke, die sich als Maschinenmensch verselbständigt hat. Gemalt ist die Szenerie in einer derartigen Opulenz von Rot-Blau-Nuancen und von einem Ziegelsteinmuster vor pechschwarzem Himmel, dass man diese Apokalypse gerne betrachtet.

Franz Radziwill „Todessturz Karl Buchstätters“, 1928, Öl auf Leinwand Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Museum Folkwang Essen

In jedem Fall aber beugen die hohe Qualität der meisten ausgestellten Werke wie auch die zahlreichen Querverbindungen, die allenthalben zu knüpfen sind, der Gefahr einer bloßen Illustrierung von Themen vor. Und was die Ausstellung – bei aller Übermacht der Neuen Sachlichkeit – deutlich erkennen lässt: Ähnlich wie nach den diversen politischen Zusammenbrüchen seit Ende der achtziger Jahre die Kunst der Gegenwart in ein unübersichtliches Nebeneinander von Stilen zersplitterte, gab es die gesamte Weimarer Republik hindurch keinen „Staatsstil“; die in der Schirn ausgebreitete Vielfalt bildet die kurze Epoche getreu ab.

Georg Scholz, „Café“ (Hakenkreuzritter), 1921, Aquarell Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Galerie Michael Hasenclever

Wem die Rede vom Glanz der „Goldenen Zwanziger“ als paradox und ohne historische Untergründung erscheint, der braucht sich nur eine andere Kunstblüte nach einem Weltenbrand zu vergegenwärtigen – den alles vergoldenden Barockstil nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg. Vielleicht muss man sich die Kultur der Weimarer Republik wie im Barock als eine Angstblüte vorstellen. Im ständigen Bewusstsein des möglichen Absturzes bei diesem Tanz auf dem Vulkan führte sie zu schönsten Formen einer Ästhetik des Hässlichen. Die Extreme wohnten in der Weimarer Republik jedenfalls Tür an Tür: Während Franz Biberkopf in seiner Absteige am Alex darbt, lebt Alfred Döblin auf großem Fuß, singt Marlene Dietrich davon, dass die Moral gleich neben dem Laster wohnt. Beides wird von Künstlern wie Otto Dix und George Grosz festgehalten, die Millionäre ebenso porträtieren wie die Ausgestoßenen der Gesellschaft.

Curt Querner „Agitator“ 1931, Öl auf Leinwand Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Nationalgalerie, SMB

Gleich mehrere bedeutende Wiederentdeckungen sind der Kuratorin Ingrid Pfeiffer gelungen. Alice Lex-Nerlinger mit ihrem Bildpaar „Politische Gefangene I und II“, das gestern erst gemalt sein könnte, wird – wie die androgyne Malerin Kate Diehn-Bitt mit ihren tiefgekühlten Selbstbildnissen – sicher in weiteren Ausstellungen zu finden sein.

Der mehrfach betonte Anspruch der Neuen Sachlichkeit auf das Unbeteiligtsein am Sujet hätte freilich Fotografien, etwa von August Sander, als Prüfstein geradezu gefordert. Die zu höchstem Raffinement entwickelten fotografischen Künste der Weimarer Republik, von den Schadographien bis zu Umbos Foto-Experimenten, bleiben in der Ausstellung bedauerlicherweise unterbelichtet. Auch vermisst man, dass die Weimarer Republik die hohe Zeit der neusachlichen Linienkunst, der Karikatur und Illustration war – wie in den Bildern von Erich Ohser und Walter Trier zu den Büchern Erich Kästners, in Lyonel Feiningers grotesken Bildstrecken oder jenen Stilübungen, die später im „Dritten Reich“ dann zu Ohsers „Vater und Sohn“ (unter dem Pseudonym e. o. plauen) führten. Das Bauhaus ist in der Ausstellung ebenso vollständig ausgespart wie Architektur insgesamt.

Wie fern und nah zugleich uns diese Zeit doch ist. Auf vielen Ebenen – der Furcht vor gesellschaftlichen Veränderungen, vor zunehmender Technisierung der Lebenswelt, den schwelenden Konflikten zwischen Arm und Reich, Stadt und Land – spiegeln die Werke herrschende Ängste seismographisch wider. Vor der Schirn steht ein Plakat zur Ausstellung mit dem Aufkleber „Deutschland nach der Wahl“, danach etwas kleiner die Worte „In der Weimarer Republik“.

Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Von Otto Dix bis Jeanne Mammen. In der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Vom 27. Oktober 2017 bis zum 25. Februar 2018. Der Katalog kostet im Museum 35 Euro, im Buchhandel 49,90 Euro.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Veröffentlicht: 27.10.2017 15:56 Uhr