Gesundheits-Apps : Du bist zu fett? Dafür zahlst du!
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Gesundheits-Apps sehen nützlich aus. Aber was geschieht hier mit unseren Krankheitsdaten? Bild: mauritius images
Haben Sie von der „Health App“ auf dem iPhone gehört? Apple sagt, das sei ein tolles Ding und helfe uns, besser zu leben. Die Wahrheit ist: Wer krank ist, wird stigmatisiert und aus der Solidargemeinschaft ausgeschlossen.
Unsere sozialen Sicherungssysteme wurden nach einem einfachen Prinzip aufgebaut: Alle zahlen in einen Topf, wenn jemand in Not ist, wird der Topf benutzt, um die Notsituation zu beheben. Ein Grundpfeiler dieses Systems war lange Zeit, dass nicht die Frage gestellt wurde, warum jemand in einer Notsituation war. Wenn jemand krank war, wurde er behandelt. Es wurde nicht gefragt, warum man krank ist. Ein solches System hat irrationales und unverantwortliches Verhalten Einzelner einkalkuliert, ist damit umgegangen, und alle haben das akzeptiert. Das Schöne an einem solidarischen System ist, dass sich das System um einen kümmert, wenn es einem schlechtgeht. Heute ist das anders.
Mit Hartz IV, den damit verbundenen Sanktionen, wurde das Narrativ der Arbeitslosigkeit verändert. Aus vier Millionen Menschen, die ohne Arbeit waren, wurden vier Millionen Arbeitsunwillige, die nur mit Sanktionen zurück in den Job geprügelt werden können, vier Millionen Schmarotzer, die uns auf der Tasche liegen und unser Sozialsystem ausnutzen. Solidarität wurde auf das Einzahlen von Geld reduziert, es wurde die Fiktion erzeugt, wenn alle nur arbeiten würden, dann müssten wir kein Geld in die Arbeitslosenversicherung bezahlen. Der größte Trick war, den Menschen zu suggerieren, dass man die Arbeitslosenversicherung wie auf eine Art Konto einzahlt und dass sich andere schamlos an diesen Konten bedienen.
Wir werden uns wünschen, sie sei nie erfunden worden
Aber nein, so haben die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nie funktioniert. Das Geld, das jeden Monat für Arbeitslosen- und Rentenversicherung vom Gehalt abgeht, ist für die Menschen gedacht, die jetzt auf die Hilfe dieser Sicherungssysteme angewiesen sind. Eben ein großer, solidarischer Geldtransfer.
Die Kündigung des Solidaritätsprinzip vollzieht sich jetzt im Gesundheitssystem. Doch das Gesundheitssystem vom Solidaritätsprinzip auf das Prinzip des Individualversagens umzustellen ist schwieriger. Denn Krankheit, Tod, das ist näher an uns dran als die Vorstellung, irgendwann ohne Arbeit dazustehen. Arbeitslose werden an den Rand verdrängt. Sie sind in zweiter oder dritter Generation arbeitslos, erwarten nichts mehr vorm Leben und der Gesellschaft. Ein Zustand, den der Soziologe Karl Heinz Bude Statusfatalität nennt.
Die Grippe aber trifft jeden. Jemandem zu unterstellen, er habe sich mutwillig mit Grippe infiziert, ist schwieriger, als jemanden arbeitsunwillig zu nennen. Das Individualversagen muss subtiler konstruiert werden. Das geht, indem das Individuum vermessen und aufgrund der Messergebnisse eine Vorhersage über die Wahrscheinlichkeit von Krankheit getroffen wird.
Aus: Sie haben Übergewicht, stellen Sie Ihre Ernährung um, denn das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen, steigt, wird: Aufgrund ihres Übergewichts kosten Sie uns überproportional viel Geld, dass heißt, wir werden Sie überproportional an den Kosten beteiligen. Das klingt erst einmal fair. Menschen, die gesund leben, müssen weniger zahlen als Menschen, die ungesund leben. Nur: Ein Mensch, der sein ganzes Leben lang gesund gelebt hat, kann trotzdem in eine Situation kommen, in der er auf sehr teure medizinische Hilfe angewiesen ist. Und ein Mensch, der ziemlich ungesund lebt, kann eine normale Lebenserwartung haben. Außerdem: Alle zahlen in die Krankenkasse ein, davon getragen werden die Kosten derjenigen, die gerade jetzt krank sind. Die Suggestion ist, dass ein Gesundheitssystem für den Einzelnen günstiger wird, wenn die Kranken mehr zahlen müssen. Das ist falsch. Es führt nur dazu, dass Einzelnen aufgrund zugeschriebener Lebensweisen mehr Kosten aufgebrummt werden.
Das können sich irgendwann immer weniger Menschen leisten. Immer mehr scheren aus der Solidargemeinschaft aus, das System kollabiert. Finde ich es hart, im Monat mehr als sechshundert Euro für die Krankenkasse zu zahlen? Ja. Habe ich mich gefreut, im Februar, als ich kurz vorm Blinddarmdurchbruch stand, operiert zu werden und die Sache zu überleben? Oh ja. Jetzt könnte man sagen: Klingt wie in einem schlechten Science-Fiction-Roman, so wie Sie das beschreiben, wird es nie kommen. Doch das ist falsch. Vor kurzem wurde von Apple das iPhone-Betriebssystem iOS 8 vorgestellt. Neben dem üblichen Bling-Bling enthält iOS 8 eine Innovation, die recht kommentarlos hingenommen wird: die „Health App“. Sie wird die Gesellschaft so fundamental verändern, dass wir uns wünschen werden, sie sei nie erfunden worden.