Gespräch mit Alaa al-Aswani : Die ägyptische Armee verteidigt den Willen der Menschen
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Stimme der Opposition: Alaa al-Aswani ist seit dem Erscheinen seines Romans „Der Jakubiin-Bau“ einer der bekanntesten Autoren seines Landes. Bild: Fricke, Helmut
Alles wieder auf Anfang gestellt in Ägypten? Der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani, einer der prominentesten Autoren seines Landes, gibt sich im Gespräch überzeugt: Es ist gut, dass das Militär jetzt eingegriffen hat.
Alaa al-Aswani ist eine wichtige Stimme der Opposition und seit dem Erscheinen seines Romans „Der Jakubiin-Bau“ einer der bekanntesten Autoren seines Landes. Dem ägyptischen Militär attestiert er, nicht an der Macht interessiert zu sein.
Alaa al-Aswani, sehen Sie in den jüngsten Ereignissen in Ägypten einen Sieg der Freiheit?
Absolut. Ich denke auch überhaupt nicht, dass wir es mit einem Staatsstreich zu tun haben.
Nein?
Ein Staatsstreich ist per definitionem eine Handlung, die das Ziel hat, jemandem die Macht zu nehmen. Das war hier keineswegs der Fall. Das Militär wollte die Macht nicht und wird sie auch nicht behalten. Es sind dreißig Millionen Menschen auf die Straße gegangen, die den Rücktritt des Präsidenten gefordert haben. Das Land stand kurz vor einem Bürgerkrieg. Deswegen hat die Armee den Willen der Menschen verteidigt. Außerdem war Mursi ein illegitimer Präsident.
Inwiefern?
Natürlich, er ist gewählt worden. Aber am 21.November 2012 hat er ein Dekret erlassen, mit dem er seine Entscheidungen über das Recht stellte und sich selbst unangreifbar durch das Rechtssystem machen wollte. Damit hatte er seine Legitimität verloren. Er hat 3400 Protestierer festnehmen lassen, die schlimmste Folter haben ertragen müssen, schlimmer als die Folter unter Mubarak. Wir wissen von zwanzig Männern, die in Mursis Gefängnissen vergewaltigt wurden. Wir haben in ihm deswegen schon lange einen illegitimen Präsidenten gesehen.
Und danach startete die Unterschriftenkampagne.
Mehr als 22 Millionen Ägypter haben sich an dieser Kampagne beteiligt und unterschrieben, um vorgezogene Präsidentenwahlen zu fordern. Wir haben das gemacht, weil wir in Ägypten kein Parlament haben, das solche Wahlen hätte fordern können, wie es für eine Demokratie eigentlich normal wäre. Also müssen die Autoritäten vom Volk selbst kontrolliert werden. Was jetzt passiert ist, war daher absolut demokratisch und absolut legal.
Aber ist das Eingreifen des Militärs nicht auch ein Rückschlag für die Demokratisierung Ägyptens? Mursi war immerhin ein gewählter Präsident, und es hätte die Möglichkeit gegeben, seine Muslimbrüder bei den nächsten Parlamentswahlen abzustrafen.
Aber stellen Sie sich doch einmal vor, dasselbe wäre in Ihrem Land geschehen: Sie haben kein Parlament, und Frau Merkel entscheidet eines Tages, dass sie selbst und ihre Entscheidungen von keinem Richter in Frage gestellt werden können, dass alles, was sie verfügt, auch umgesetzt wird, weil niemand eine Möglichkeit hat, auf sie Einfluss zu nehmen. Dann gehen Sie demonstrieren. Aber Frau Merkel lässt auf die Demonstranten schießen. Also sammeln Sie Unterschriften, friedlich. Sie kriegen Unterschriften von 22 Millionen Menschen, die vorgezogene Wahlen fordern. Aber Frau Merkel lehnt ab.
Eine Weile standen sich das Militär und die Muslimbrüder aber doch recht nahe. Sie haben das Militär selbst einmal öffentlich beschuldigt, bei der Fälschung der letzten Wahlen geholfen zu haben, und zwar zugunsten der Muslimbrüder und gegen die liberale, säkulare Opposition.
Ich habe in der Tat meine Zweifel an der Korrektheit der letzten Wahl. Ich war einer der lautesten Kritiker des Hohen Militärrats. Jedes Mal habe ich gesagt, dass ich einen klaren Unterschied sehe zwischen Mubarak, den Generälen des Hohen Militärrats und der Armee, die dem Volk gehört. Ich habe den Militärrat immer kritisiert, weil unter seiner Regierungszeit Verbrechen an Menschen begangen wurden, weil Menschen getötet wurden; dafür ist der Militärrat politisch verantwortlich. Aber man darf nicht vergessen, dass die Führung heute eine andere ist. Der Vorsitzende des Obersten Militärrats, Tantawi, ist zurückgetreten. Ich bin mir über zwei Dinge völlig sicher: Die Armee will die Macht nicht, und sie hat nur eine ihrer Aufgaben erfüllt, nämlich, den Staat vor einem Bürgerkrieg zu bewahren. Denn wir standen kurz davor.
Hat sich denn auch auf dem Land die Stimmung der Menschen gewandelt, also dort, wo die Muslimbrüder viele Unterstützer hatten?