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Geschlechterrollen : Frauen, die Großwild jagen

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Eine Shoshone-Indianerin auf Bisonjagd: Warum sollten unsere weiblichen Vorfahren nur in der Höhle gesessen haben? Bild: Rombach Verlag

Keine Märchen mehr: Ein Buch und eine Freiburger Ausstellung widmen sich den Männern und Frauen der Steinzeit. Die Geschlechterforschung verdankt der Urgeschichte neue Einsichten.

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          Knallblauer Himmel über Freiburg, strahlender Sonnenschein, als Helena Pastor, die Direktorin des Archäologischen Museums, die Eingangstür zu ihrem Haus öffnet, das wie eine Trutzburg auf einem Hügel in der Innenstadt thront. Das Museum im „Colombischlössle“ zählt zu den kleinen Institutionen in Deutschland. Benannt wurde es nach seiner Erbauerin, der Gräfin Colombi. Derzeit zeigt das Haus eine seiner erfolgreichsten Ausstellungen. Der Titel lautet: „Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?“ Zahlreiche Schulklassen sind zu den Führungen gekommen, bei Abendveranstaltungen sind alle Plätze besetzt. Wegen des großen Erfolgs wurde die Schau bis Mitte Mai verlängert. Eine Erklärung für das breite Interesse hat Helena Pastor auch. „Wir weigern uns“, erklärt sie, „Märchen zu erzählen.“

          Was könnten solche Märchen sein? Kaum eine Wissenschaft beschäftigt die kollektive Phantasie so sehr wie die Ur- und Frühgeschichte. Es ist fast zu einem Volkssport geworden, sich mögliche Antworten darauf auszudenken, wie es sich zur Zeit der Mammuts oder Höhlenbären lebte. Für jedes Phänomen lässt sich eine Erklärung finden, die so tut, als reiche sie mehrere hunderttausend Jahre zurück. Shoppen, Fernsehen, Fastfood, Diätwahn? Zur Not denkt man sich die passende Urzeitanekdote einfach selbst aus.

          Das Paradiesgärtlein reaktionärer Ressentiments

          Zum Dauerwitz machte dieses Vorgehen die amerikanische Fernsehserie „Die Familie Feuerstein“. Wilma und Fred Feuerstein bewohnen einen Bungalow aus Felsbrocken, ihre Haustiere sind Dinosaurier, er geht arbeiten, sie kocht, man fährt in Autos aus Stein und besucht die Geröllheimers von nebenan. Alles, was in diesem Urzeitkosmos passiert, gleicht der Welt der amerikanischen Mittelschicht in den sechziger Jahren - nur Plastik und Elektrizität sind noch nicht erfunden.

          „Die Familie Feuerstein“ ist natürlich auch eine sehr lustige Balla-Balla-Version der Vorstellung, dass alles schon immer so war. Ähnliche Jäger- und Sammlergeschichten produzieren allerdings ganz ernsthaft einige Bestseller-Autoren, um ein breites Publikum darüber aufzuklären, warum Frauen angeblich nicht einparken können und Männer nicht zuhören. Es sei ganz einfach, schreiben etwa Allan und Barbara Pease: „Er war der Beutejäger, sie die Nesthüterin.“ Und schrill kann schließlich die Berufung auf die Natur ausfallen, wenn sie dazu dient, politische Programme durchzusetzen. Als „widernatürliche Ideologie“ etwa beschimpfte die „Alternative für Deutschland“ auf dem Parteitag die Gleichberechtigung.

          Natur heißt in vielen Fällen also einfach das Paradiesgärtlein reaktionärer Ressentiments. Und wo die Worte Urzeit oder Steinzeit fallen, folgt häufig ein wirres Medley aus Anekdoten, Mythen, Wünschen und Projektionen, die Frauen und Männer betreffen.

          Überraschungen aus der Steinzeit

          Was aber sagt das Fach dazu, die Wissenschaft, die Forschung? Die erstaunliche Antwort: lange Zeit nichts oder sehr wenig. In den vergangenen Jahren allerdings ist die Zahl der Forscher gestiegen, die der Ansicht sind, es sei an der Zeit, einigen Märchen etwas entgegenzusetzen. Als das Archäologische Landesmuseum in Stuttgart etwa die umfassende Schau „Eiszeit. Kunst und Kultur“ zeigte, beschäftigte sich ein Kapitel im Katalog ausdrücklich mit Geschlechterrollen im Jungpaläolithikum. Und als das British Museum im Jahr 2013 die spektakuläre Ausstellung „Ice Age Art“ zeigte, ging die Kuratorin und Archäologin Jill Cook der Frage nach, ob die eiszeitlichen Figuren nicht aus den Händen von Künstlerinnen stammen.

          Die Freiburger Ausstellung ist nun die erste, die sich allein dem Thema widmet, wie Frauen und Männer in der Steinzeit lebten und starben und welche Aufgaben sie übernahmen. Ein umfangreicher Begleitband führt das Thema weiter aus; herausgegeben hat ihn Brigitte Röder, Professorin für Ur- und Frühgeschichte und Provinzialrömische Archäologie an der Universität Basel. In ihrem einleitenden Beitrag gibt sie eine ausführliche Antwort auf die Frage, die der Ausstellungstitel stellt: „Nein - Männer und Frauen haben keine festen Rollen seit Urzeiten“, heißt es dort, „die Idee vom steinzeitlichen Jäger alias ,Ernährer‘ und der Sammlerin alias ,Hausfrau und Mutter‘ ist eine Fiktion.“

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