Weihnachtsempfehlungen der Redaktion
Was süchtig macht
1. Dezember 2017 · Noch ist genug Zeit für die wirklich wichtigen Dinge: Die Feuilleton-Redaktion empfiehlt Filme, Bücher, Platten, Serien, Ideen, Haltungen, Hoffnungen und Hits.
Marc-Uwe Kling: „QualityLand“. Roman.
Helle und Dunkle Edition. Ullstein. Jeweils 374 S., geb., 18,– €.
Der Schöpfer der Känguru-Trilogie eröffnet eine satirische Dystopie. Die Macht der Algorithmen kreativ in die Zukunft gedacht.
Danish String Quartet: Last Leaf.
ECM,1CD.
Nordic Folk für Streichquartett und Harmonium, Musik aus Nebel, Laub und Erde, aus Wolle, Holz und Rauch, eingängig und kunstfertig zugleich. Gewissermaßen Hygge zum Hören.
„Bakemonogatari“. Gesamt
AV Visionen, 3Bluray Disks, 81,99 €.
Alle wissen, welche Serien aus Amerika, Europa und den immergleichen Erzählmustern alle immer gucken, damit alle mit allen immer überall einig sind. Den japanischen Trickfilmkünstlern ist das egal.
Lovely Creatures: The Bestof Nick Cave & The Bad Seeds.
Diverse Formate.
Wer tobt und ist zärtlich wie er? Die mörderischen Balladen des australischen Grenzgängers, der aus dem Underground kam – von 1984 bis 2014. Und auf der Bühne sollte man Nick Cave unbedingt auch erleben.
Petra Morsbach: „Justizpalast“. Roman.
Knaus Verlag. 480 S., geb., 25,– €.
Sie schreibt nie das gleiche Buch zweimal: Diesmal seziert Petra Morsbach die Spracheder (Münchner) Justiz: Nichtalle „Mannschgerl“ kommen da gut weg,aber die Leser auf jeden Fall.
Franz Schubert: Die schöne Müllerin.
Christian Gerhaher,Gerold Huber.SonyClassic. 1CD, 16,99 €.
Ohnejede Manier,denkend gesun- gen, dunkel begleitet und um eine Lesung der vonSchubertunverton- tenGedichtedes Zyklus ergänzt – eine Aufnahme, die langemaßgeb- lichbleiben wird.
Deborah Feldman: „Überbitten“.
Autobiographische Erzählung. Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag. 704 S., geb., 28,– €.
„Unorthodox“ war die Geschichte einer spektakulären Flucht. Hier erzählt die Autorin von ihrer langen Reise zu sich selbst.
David LaChapelle: „Lost + Found“ und „Good News“.
Taschen Verlag. Jeweils 276 S., Abb., geb., 49,99 €.
LaChapelles Bilder sehen aus, als habe er Präraffaelismus, Pop-Art und Jahrmarktkitsch in den Mixer geworfen. Sehr psychedelisch! Süchtig macht auch der Geruch der hochpigmentierten Druckfarben
Jonas Mekas: „Ich hatte keinen Ort“.
Tagebücher 1944–1955. Spectator Books. 480 S., br., 22,– €.
Mekas schreibt über seine Flucht aus Litauen, Arbeitslager in Deutschland und Exil in New York so mitreißend, dass man sofort alle seine Filme wiedersehen will.
Antoine Compagnon: „Les Chiffonniers de Paris“.
Gallimard (Bibliothèque illustrée des histoires). 496 S. Abb., geb., 32,– €.
Die Lumpensammler quer durch alle literarischen und darstellerischen Register – zur näheren Kenntnis der Hauptstadt des neunzehnten Jahrhunderts.
Franz Schubert: Die schöne Müllerin.
Christian Gerhaher, Gerold Huber. SonyClassic. 1CD, 16,99 €.
Vierzehn Jahre nach seiner ersten Einspielung hat Christian Gerhaher den Schubert-Zyklus noch einmal aufgenommen: traurig schöne Liedkunst vom Allerbesten.
Hergé: „Le Feuilletonintégral 1940–1943“.
Casterman. 496S., Abb., geb., 80,– €.
Die grandiose Gesamtausgabe aller Zeitschriftenvorpublikationen von Hergés Comics erreicht die heikelste Phase seines Lebens die deutsche Besatzungszeit in Belgien. Graphisch ist es seine stärkste Zeit.
Ijoma Mangold: „Das deutsche Krokodil“. Meine Geschichte.
Rowohlt Verlag.352S., geb., 19,95€.
Dieses kurpfälzische Vorstadtkrokodil mit afrikanischen Wurzeln schnappt auf überraschende Weise nach dem Leser. Es tut auch gar nicht weh, sondern kitzelt eher.
Philippe Jaroussky: The Händel Album.
Philippe Jaroussky (Countertenor), Ensemble Artaserse, Erato (Warner). 1CD. Pop aus dem Barock.
Utagawa Hiroshige, Keisai Eisen: „Die 69 Stationen des Kisokaido.“
Taschen Verlag. 234 S., Abb., japan. Bindung, 99,– €.
Wie Japan in der Mitte des 19. Jahrhunderts aussah,zeigt diese Gemeinschaftsarbeit zweier großer Künstler, die den Poststationen der Straße von Edo nach Kyoto folgen.
Nico Bleutge: „Nachts leuchten die Schiffe“.
Verlag C.H.Beck. 87 S., geb., 16,95 €.
Die neuen Gedichte von Nico Bleutge – stille, scharfe Splitter, die Ra tgeben in unruhiger Zeit. Wer immer noch daran zweifelt, dass die Romantik uns wieder etwas zu sagen hat – hier ist der Beweis.
Marc-Uwe Kling: „QualityLand“. Roman.
Helle und Dunkle Edition. Ullstein. Jeweils 374 S., geb. 18,– €.
Beide auch als Hörbuch. „Wir nennen es das Netz, weil wir darin gefangen sind.“ Wie immer schafft Känguru-Kling das Paradoxon einer amüsanten Apokalypse. Dabei sein ist alles.
Matthew Sweeney: „Hund und Mond“. Gedichte.
Aus dem Englischen von Jan Wagner. Hanser Berlin Verlag. 144 S., geb., 18,– €.
Kreatürliche Haikus, nicht nur für Whiskytrinker.
Was zu Herzen geht
John Green: „Turtles All the Way Down“.
Dutton Books. 292 S., geb., 12,99 €.
Berührende Darstellung des Innenlebens eines grüblerischen Teenager-Mädchens mit Zwangsstörung, das von der Frage nach der eigenen Identität fast in den Wahnsinn getrieben wird.
Philippe Jaroussky: The Händel Album.
Philippe Jaroussky (Countertenor), Ensemble Artaserse, Erato (Warner), 1 CD.
„Ich fühle, wie mein Herz in Zärtlichkeit zerfließt. Mir scheint, ich sähe alle Sterne froher lachen und heller strahlen.“ Aus Händels „Flavio, König der Langobarden“.
Portrait: Burn the World.
Metal Blade/Sony. 1 CD, 13,95 €.
Eine Oase tobender Erregung im öden Meer der Mitläufermusik von lauter so Sängerinnen, die man kennen muss, um sich in fünf Jahren, wenn sie Autoreklame machen, heimlich zu schämen. Das hier dagegen kreischt und hält wach.
„Nashörner – Ein Portrait von Lothar Frenz“.
Matthes & Seitz Verlag. 127 S., zahlr. Abb., geb., 18,- €.
Das darf kein Requiem sein! Eine Liebeserklärung an die letzten Urtiere des Planeten, die wahren Einhörner: die wenigen, die noch zu retten sind, mit aller Kraft schützen.
Deborah Feldman: „Überbitten“. Autobiographische Erzählung.
Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag. 704 S., geb., 28,- €.
Geflohen aus der jüdischen Orthodoxie: Deborah Feldman schreibt ihre Lebensgeschichte fort, die sie von New York nach Berlin führt.
Dorothy Parker: „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“. Gedichte Englisch-Deutsch.
Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Dörlemann Verlag. 600 S., geb., 34,- €.
„Lust war hier und ist gegangen / Hat fast Tradition; / Trotzig werd ich neu anfangen – / Andre schaffen's schon.“
Éric Vuillard: „Traurigkeit der Erde“. Eine Geschichte von Buffalo Bill Cody.
Aus dem Französischen von Nicolas Denis. Verlag Matthes & Seitz. 136 S., geb.,14,99 €.
Faszinierend, wie Éric Vuillard große Momente der Geschichte in poetischen Miniaturen verdichtet.
Wim Wenders: „Sofort Bilder“.
Schirmer Mosel Verlag. 320 S., Abb., geb., 49,80 €.
Statt zum schönen Augenblick vergebens zu sagen, er möge verweilen, griff Wim Wenders früher kurzerhand zur Polaroidkamera. 435 solcher Momente vereint er nun in einem Buch – samt Anekdoten.
Richard Ford: „Zwischen ihnen“.
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Hanser Berlin Verlag. 144 S., geb., 18,- €.
Erinnerungen an den Vater und die Mutter und an ein untergegangenes Amerika. Brillant, präzise hat Richard Ford immer geschrieben, so persönlich, so warm noch nie.
Gustave Flaubert: „Drei Geschichten“.
Hrsg. und aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag. 320 S., Abb., geb., 28,- €.
Wer könnte Félicité und ihren Papagei je wieder vergessen: Flauberts letztes Buch in einer wunderbaren Edition.
Iwan Bunin: „Verfluchte Tage“ Ein Revolutionstagebuch.
Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Dörlemann Verlag. 260 S., geb., 16,99 €.
Die andere Perspektive auf 1917: die eines Verzweifelten, der seine Welt und alle Zivilität in Blut und Zerstörung untergehen sieht.
The National: Sleep Well Beast.
4AD. 1 CD.
Diese Musik geht allemal zu Herz, aber auch bisweilen in die Beine. Und den ungewöhnlichsten Songtitel seit langem gibt es darauf auch: „The System Only Dreams in Total Darkness“. Das schönste Lied des Jahres ist es sowieso.
Alexander Gorkow: „Hotel Laguna“. Meine Familie am Strand.
Kiepenheuer & Witsch. 368 S., geb., 22,- €.
Kann man Mallorca- und gleichzeitig Miles-Davis-Liebhaber sein? Aber hallo! Die Erziehung des Herzens auf Rheinländisch, voller literarischer Hochkomik und Melancholie.
Gustave Flaubert: „Drei Geschichten“.
Hrsg. und aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag. 320 S., Abb., geb., 28,- €.
Drei Meisterwerke der historischen Einfühlung in fremde Herzen, die vor Jahrhunderten aufgehört haben zu schlagen.
Pierre de Ronsard: „Sonette für Hélène“.
Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Französischen von Georg Holzer. Elfenbein Verlag. 240 S., geb., 24,- €.
Zorn und Zärtlichkeit, Überschwang und Ruhe: Diese Gedichte über die Liebe zielen mit den Mitteln der Renaissance direkt auf unsere Herzen.
Geoffrey Layton (Hrsg.): „In die Luft schreiben“. Luc Bondy und sein Theater.
Alexander Verlag. 320 S., Abb., br., 30,- €.
Vor zwei Jahren ist der große Theaterregisseur gestorben, – hier erinnern sich berühmte Weggefährten an ihn und seine unersetzliche Theaterkunst.
Nick Cave & The Bad Seeds: „One More Time With Feeling“.
2 DVDs. 19,99 €.
Der Film ist weit mehr als ein Making-of der CD „Skeleton Tree“. Er ist das mit Abstand traurigste und zugleich ehrlichste Dokument über einen Düstermann, der ein Kind verloren hat und dafür Ausdruck sucht.
Sufjan Stevens: The Greatest Gift.
Asthmatic Kitty (Cargo). Als Kassette/MP3 9,99 €, als Vinylplatte 16,99 €.
Geht wie ein Korkenzieher ins Herz.
Was den Verstand schärft
Geraint F. Lewis, Luke A. Barnes: „A Fortunate Universe – Life in a Finely Tuned Cosmos“.
Cambridge University Press. 388 S., geb., 19,99 €.
Warum ist das Universum genau so beschaffen, dass es Leben ermöglicht? Die wissenschaftliche Antwort führt tief in die moderne Physik.
Hansjörg Küster: „Deutsche Landschaften“. Von Rügen bis zum Donautal.
Verlag C. H. Beck. München 2017. 384 S., geb., 29,95 €.
Die Lüneburger Heide – pure Natur? Von wegen! Was wir schützen, wenn wir Landschaft schützen, sind Bilder, Erinnerungen, Gefühle und harte Arbeit – immer schon Kultur.
Greg Egan: „Dichronauts“.
Night Shade Books. 294 S., geb, 18,45 €.
Seit mehreren unglaublichen Büchern hat der Mann mit dem vollständigen Überblick übers Erzählmögliche in Deutschland keinen Verlag, keine Rezensionen, keine Diskussion. Denn so ist das hier.
„Tiere – Respekt/Harmonie/Unterwerfung“.
Hrsg. v. Sabine Schulze. Hirmer Verlag. 288 S., zahlr. Abb., br., 39,90 €.
Viel mehr als der Katalog zur Ausstellung im MKG, Hamburg (bis 18. März 2018): Texte und Bilder zum Verhältnis zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren.
Jürgen Kaube: „Die Anfänge von allem“.
Rowohlt Berlin Verlag. 400 S., Abb., geb., 24,95 €.
Ein Buch für alle, die sich schon einmal gefragt haben, wie alles – Feuer, Musik, Städte, Kochen, Religion et cetera – anfing. Ein geistreicher Band, der eine Bibliothek ersetzt und dabei leicht zu lesen ist.
Gustave Flaubert: „Drei Geschichten“.
Hrsg. und aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag. 320 S., Abb., geb., 28,- €.
Wie erzeugt man literarisch Gefühle, ohne sie auszubeuten? Das rätselhafteste Buch des großen Stilisten, in einer glänzend übersetzten und kommentierten Ausgabe.
Daniel Kehlmann: „Tyll“. Roman.
Rowohlt Verlag. 480 S., geb., 22,95 €.
Ein Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der voller Rätsel und hinreißender Figuren steckt und als phantastische Erzählung auf dem schmalen Grat zwischen Geschichte und Fiktion balanciert.
Peter Bialobrzeski: „Die zweite Heimat“.
Hartmann Books. 148 S., Abb., geb., 45,- €.
Vor einem halben Jahrhundert schrieb Alexander Mitscherlich „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, eine Anstiftung zum Unfrieden. Jetzt liefert der Fotograf Peter Bialobrzeski die Illustrationen dazu.
Ina Hartwig: „Wer war Ingeborg Bachmann?“ Eine Biografie in Bruchstücken.
S. Fischer Verlag. 320 S., geb., 22,- €.
Statt Gottesdienst für eine Ikone endlich ein kluges Buch über die Dichterin in ihrer Zeit, voller neuer Einsichten und O-Töne von Zeitgenossen, darunter Henry Kissinger.
Jürgen Kaube: „Die Anfänge von allem“.
Rowohlt Berlin Verlag. 400 S., Abb., geb., 24,95 €.
Ein Buch, das einem viele Bücher und Aufsätze über Ursprünge erspart, zu deren Lektüre man ohnehin kaum gekommen wäre. Und Ursprünge geben immer zu denken.
Wolfgang Matz: „Frankreich gegen Frankreich“. Die Schriftsteller zwischen Literatur und Ideologie.
Wallstein Verlag. 240 S., geb., 22,- €.
Ein bestürzend aufklärerisches Buch über das Gift extremer Ideologien, vor allem ganz linker, die nicht nur den Charakter verderben.
Petra Morsbach: „Justizpalast“. Roman.
Knaus Verlag. 480 S., geb., 25,- €.
Mit diesem Roman sieht man nicht nur die Justiz, man sieht das ganze Land anders. Petra Morsbach riskiert alles und wählt als Sprache die juristische Terminologie. Was für ein Gewinn!
Thomas Macho: „Das Leben nehmen“. Suizid in der Moderne.
Suhrkamp Verlag. 532 S., geb., 28,- €.
Ein nicht direkt erfreuliches Thema wird ohne jede Gefühligkeit breit aufbereitet. Paradox: Die Menschheit verarmt durch Selbstmord, die Kultur wäre ärmer ohne ihn.
Ror Wolf: „Die Gedichte“.
Schöffling Verlag. 576 S., geb., 25,- €.
Der bestmögliche Reiseführer durch vollkommen unbekanntes Terrain: unsere Welt, gesehen mit den Augen von Ror Wolf.
Barbara Stollberg-Rilinger: „Maria Theresia“. Die Kaiserin in ihrer Zeit.
Verlag C. H. Beck. 1083 S., Abb., geb., 34,- €.
Während anderen die Vergangenheit gar nicht nah genug kommen kann, betont Stollberg-Rilinger die Fremdheit des 18. Jahrhunderts. Mit dem allererhellendsten Ergebnis.
„Sinn und Form“. Beiträge zur Literatur. 6. Heft.
11,- €.
Die neue Ausgabe der anregendsten Literaturzeitschrift des Landes: unter anderem mit einer mitreißenden Erzählung des vergessenen russischen Dichters Dmitri Bakin und winterlichen Tagebuchaufzeichnungen von Gert Loschütz.
Gerda Panofsky: „Erwin Panofsky von Zehn bis Dreißig und seine jüdischen Wurzeln“.
Dietmar Klinger Verlag. 261 S., geb., 29,90 €.
Wie der große Kunsthistoriker wurde, was er war. Ein dunkler Spiegel der Kulturgeschichte Deutschlands von der Aufklärung bis zum Antisemitismus im „Dritten Reich“.
„Better Call Saul“.
Auf Netflix oder als DVD. Die jüngst erschienene Staffel 3 besteht aus 3 DVDs. 29,99 €.
Was weiß der Anwalt von der Liebe?
Was das wieder kostet
Robert Frodeman, Julie Thompson Klein, Roberto Carlos Dos Santos Pacheco (Hrsg.): „The Oxford Handbook of Interdisciplinarity".
Oxford University Press. 640 S., geb., 110,- £.
Interdisziplinarität ist wichtig. Darüber, was das heißt, gibt es Missverständnisse. Zeit für den neu aufgelegten Sammelband zum Thema.
Herbert von Karajan: Complete Recordings on Deutsche Grammophon & Decca.
Limitierte und numerierte Edition. Universal, 356 CDs bzw. DVDs + Buch, ca. 800,- €.
Auch wenn die EMI-Aufnahmen noch fehlen, ist dieser Beistellwürfel für die Phonothek, in zeitlosem Weiß, das ganz große Ding.
Luo Guanzhong: „Die Drei Reiche".
Aus dem Chinesischen von Eva Schestag. Roman. S. Fischer Verlag. Zus. 1752 S., geb., 99,- €.
Man erinnert sich kaum, was Gesellschaften mit Zivilisation, Politik und Kultur waren. Denn das gibt's heute auf Erden nur noch in Asien und in diesen zwei Bänden.
Andy Warhol: „Seven Illustrated Books 1952-1959“.
Taschen Verlag. Unpag., br. in Box, 150,- €.
Sieben Faksimiles im Originalformat, im großen aufklappbaren Karton. Andy before Warhol: seine phantastischen, witzigen, heiteren Zeichnungen aus den Fünfzigern. Dafür muss man ihn einfach lieben.
Joseph Roth: „Werke“.
6 Bände. Hrsg. von Klaus Westermann, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1989.
Das kennen alle Bücherfreunde: Ohne Antiquariat geht gar nichts. Und dann kann es mehrere hundert Euro teuer werden, wie im Falle der Joseph-Roth-Werkausgabe, die aber einfach sein muss.
Homer: „Ilias“.
Aus dem Griechischen von Kurt Steinmann. Manesse Verlag. 576 S., geb., im Schuber, 99,- €.
In dieser Welt sind alle ständig zornig, aufgebracht, verhaltensunsicher und mitgenommen: mehr als fünfhundert Seiten Furor.
Homer: „Ilias“.
Aus dem Griechischen von Kurt Steinmann. Manesse Verlag. 576 S., geb., im Schuber, 99,- €.
Dass eine Ilias-Übersetzung auch in Hexametern zu fesseln vermag, führt Kurt Steinmann in seiner Übertragung dieses Epos vor, das am Beginn aller Literatur steht.
Kaneko Ryuichi und Manfred Heiting: „The Japanese Photobook, 1912-1990“.
Jugendstil und Sachlichkeit, Revolutionsästhetik und brutale Reportagen – alles da in Japans Fotografie. Und doch stets umwölkt von einem zarten Geheimnis.
Richard Avedon und James Baldwin: „Nothing Personal“.
Taschen Verlag. 160 S. Abb., geb., mit Begleitheft im Schuber, 59,99 €.
Wie sahen der jüdische Fotograf und der schwarze Schriftsteller Amerika Mitte der Sechziger? Neuausgabe des Buchs von 1964 zur richtigen Zeit.
Wolfgang Riedel: „Unort der Sehnsucht“. Vom Schreiben über Natur. Ein Bericht.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 126 S., br., 12,- €.
Exzellenter und auch die polemische Spitze nicht scheuender Essay über die Konjunktur von Büchern über Tiere und Natur.
Alexander von Humboldt: „Kosmos: Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“.
Nachwort Ottmar Ette. Die Andere Bibliothek. 941 S., Abb., geb., 128,- €.
Reise durch den Kosmos des Wissens mit dem gelehrten Künstler, von dessen universalistischem Blick wir immer noch profitieren.
Péter Nádas: „Aufleuchtende Details“. Memoiren eines Erzählers.
Rowohlt Verlag. 1287 S., geb., 39,99 €.
Das kostet vor allem Lese- und damit Lebenszeit, aber man kann sie kaum besser investieren als in die Erinnerungen dieses großen ungarischen Schriftstellers.
Johnny Cash: Unearthed.
9 LPs, Vinyl-Box-Set mit 60 S. Bildband. Limitiert. American Recordings (Universal Music). Je nach Anbieter 275,99 bis 326,99 €.
Kein kommerzieller Leichenschmaus, sondern das nun endlich stilecht auch auf Vinyl erhältliche Vermächtnis des Mannes in Schwarz.
Thea Vignau-Wilberg: „Joris und Jacob Hoefnagel – Kunst und Wissenschaft um 1600“.
Hrsg. vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft. Hatje Cantz. 544 S., Abb., geb., 50,- €.
Die Miniaturmalerei als Geburtshelferin der Naturwissenschaften.
John R. R. Tolkien: „Das Silmarillion“.
Aus dem Englischen von Wolfgang Krege. Luxusausgabe im Schuber. Verlag Klett-Cotta. 578 S., geb., 68,- €.
Kosmos Mittelerde: Wie alles zusammenhängt, der Ringkrieg mit dem Anbeginn der Zeit, steht in diesem Tolkien-Kompendium.
„Romy Schneider – Film für Film“. Ein Handbuch.
Verlag Schirmer/Mosel. 254 S., Abb., geb., 49,80 €.
Die reich bebilderte Filmographie einer großen Darstellerin, die vom Publikum für das geliebt wurde, was sie nie war: eine harmlose Prinzessin.
Einstürzende Neubauten: Greatest Hits Tour 2017.
MP3 Audio, 25,- €.
Früher hieß es seitens der Kapelle: „Sei schlau, klau beim Bau.“ Aber wenn schon Ausverkauf, dann richtig. Immer noch der sinnlichste Beitrag zur "Befindlichkeit des Landes", von den zwielichtigen Bauleuten des „Hauses der Lüge“ um B. Bargeld.
David Foster Wallace: „Unendlicher Spaß“. Hörspiel.
Gelesen von 1400 Sprechern. Hörverlag. 10 MP3-CDs, 36,95 €.
Das kostet vor allem Zeit, mindestens 79 Stunden. Mit dem zugrundeliegenden Roman kann man sich lebenslang beschäftigen.
Was für Kinder
Kobi Yamada, Mae Besom: „Was macht man mit einer Idee?“
Adrian Verlag. 40 S., Abb., geb., 12,95 €.
Wie wichtig es ist, gute Ideen zu haben, weiß jeder. Aber wie schwierig es ist, mit Ideen richtig umzugehen, illustriert dieses wunderschöne Bilderbuch.
„Schneeflocken“. Märchen von Ludwig Bechstein, Sophie Reinheimer und Erich Kästner. Musik für Klavier und Celesta aus der Zeit um 1900.
Edition See-Igel, 1 CD.
Urst gemütlich: Da klingt die alte Zeit so, als wäre sie wirklich die gute gewesen.
G. M. Berrow: „My Little Pony“. Das Buch zum Film.
Aus dem Amerikanischen von Susanne Schmidt-Wussow. Egmont Verlag. 137 S., Abb., geb., 7,99 €.
Nachhilfe für Bekloppte, die in Kinoblättchen die Handlung des Films, den Sechsjährige verstehen, natürlich falsch zusammengefasst haben.
Klaas Verplancke: „Magritte und sein Apfel“.
Diogenes Verlag. 32 S., zahlr. Abb., geb., 20,- €.
Der erste Satz: „René war Maler, doch René konnte nicht malen.“ Damit ist alles gesagt über Magritte. Die Bilder im Buch sind herrlich, für die Kinder wie für die Erwachsenen.
Linda Liukas: „Hello Ruby“. Programmier dir deine Welt.
Bananenblau Verlag. 112 S., Abb., geb., 16,80 €.
Endlich einmal ein Kinderbuch, das sich nicht blöder stellt, als es die Kinder sind: Das ABC des Programmierens wird hier mit leichter Hand und spielerisch vermittelt.
John Irving: „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“.
Diogenes Verlag. 40 S., geb., 18,- €.
Eine Ursituation der Kindheit: Alleinsein und Angst haben, alles überdeutlich wahrnehmen, vor allem das, was gar nicht da ist. Eine Ursituation der Dichtung.
Anke Kuhl, Philip Waechter u.a.: „Kinder Künstler Mitmachbuch“.
Beltz & Gelberg Verlag. 175 S., Abb., br., 10,95 €.
Von wegen Ausmalen: Die Mitmachbücher der Ateliergemeinschaft Labor regen die Phantasie an und inspirieren nicht nur kleine Künstler zum Selbermachen.
Tony Cragg: „Works on Paper“.
Verlag der Buchhandlung Walther König. 420 S., Abb., geb., 49,80 €.
Es gibt, weiß Tony Cragg, unendlich viele Möglichkeiten, zwei Punkte mit einer Linie zu verbinden. Und so legt er los, schwingt, kringelt und rotiert mit dem Stift. Erstaunlich, was dabei alles entsteht.
Nikolaus Heidelbach: „Die schönsten Märchen“.
Beltz und Gelberg. 431 S., Abb., geb., 39,95 €.
Die Märchen sind nicht neu, 53 an der Zahl aus aller Welt und von Grimm zu Andersen. Aber die Zeichnungen von Heidelbach fügen etwas Neues hinzu, schauerlich und wunderbar.
Moni Port und Philip Waechter: „Der Flugplatzspatz nahm auf dem Flugblatt Platz“. Schnellsprecher und Zungenbrecher.
Klett Kinderbuch Verlag. 48 S., Abb., geb., 10,- €.
Ab 5 J. Sinn ist gut, muss aber nicht unbedingt sein: Hier geht es in erster Linie um Zungenfertigkeit.
Kristina Gehrmann: „Im Eisland“. Graphic Novel.
Hinstorff Verlag. 3 Bd., jeweils 224 S., br., 16,99 €.
Ab 12 J. Absolut aufregende Geschichte über die „Expedition des Jahrhunderts“ des Polarforschers Sir John Franklin, die 1848 im Packeis mit dem Tod aller 129 Teilnehmer endete.
Janik Coat: „Aleph – Ton premier livre“.
Albin Michel. 108 S., Abb., geb., 20,- €.
Ab 1 J. Nicht vom Französisch abschrecken lassen: Dieses Bilderbuch ist genau das Richtige für ein Kleinkind, egal welcher Nationalität, das die Welt auch über Bücher kennen- und die Welt der Bücher lieben lernen soll.
„Yakari – Gute-Nacht-Geschichten“.
Friendz Verlag. 96 S., Abb., geb., 5,- €.
Gibt es, schön synchronisiert, auch als Trickfilm. Aber das Medium ist hier nicht die Botschaft. Vielmehr: Liebe zu Tieren ist absolut menschlich. Diesen kleinen Sioux haben auch Große gern.
Peter Krauss: „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“ Handwörterbuch der Vogellaute.
Hrsg. von Judith Schalansky. Matthes & Seitz. 224 S., geb., 25,- €.
Wer wispelt, murxt und gixt denn da? Es sind Meise, Drossel, Schnepfe. Wo ihr Gesang verstummt, fehlen uns die Worte.
Frida Nilsson: „Siri und die Eismeerpiraten“.
Gerstenberg Verlag. 376 S., geb., 14,95 €.
Wenn Fantasy, besonders die für Zehnjährige, so fein Balance hält zwischen den Welten, zieht man den Hut vor der großartigen Frida Nilsson noch tiefer als gewohnt.
„Exit- Das Spiel: Das Haus der Rätsel“.
Gesellschaftsspiel für ein bis vier Spieler ab 10 Jahre, Spieldauer ca. 45 bis 90 Minuten, 99,- €.
Das Gefühl, in einem Raum hinter verschlossenen Türen zu sein, und die Uhr tickt. Nur wer die Rätsel lösen kann, kommt frei. Escape-Room-Spannung für zu Hause.
„Paddington 2“.
Im Kino.
Und Erwachsene ebenso. Was gäbe es Verbindenderes als das gemeinsame Lachen und Fiebern mit dem Problembären. Und nach Weihnachten noch die DVD – zum wiederholten Schmunzeln über die anspielungsreich verfilmten Abenteuer des konfitüresüchtigen Petzes.
Mariken Jongman, Yoko Heiligers: „Großer kleiner Pottwal“.
Übersetzt von Meike Blatnik. Tulipan Verlag. 40 S., geb., Abb., 15,- €.
Auch Pottwale suchen Geborgenheit.
Was längst fällig war
Chris Ferry: „General Relativity for Babies“.
Pappbilderbuch. Sourcebooks, Inc / Brdbk edition. 24 S., Abb., br., 9,49 €.
Wir tun uns schwer mit unserer Anschauung der vierdimensionalen Raumzeit. Vielleicht liegt es nur daran, dass uns selbst die richtige Früherziehung vorenthalten blieb.
Alain Corneau: „Die siebente Saite“.
Arthaus, 1 DVD.
Was ist Musik? Erinnerung an die Sprache der Ungeborenen. So sagt es Monsieur de Sainte Colombe dem jungen Marin Marais, der später Hofgambist bei Ludwig XIV. wird. Einer der schönsten Musikerfilme aller Zeiten nun auf DVD.
Jorie Graham: „Fast“. Poems.
Harper Collins. 96 S., geb., 16,39 €.
Verse, deren Darstellungsabsichten samt formalen Lösungen für die sich aus jenen ergebenden ästhetischen Probleme weit und breit keine Uni und keine Jury interessieren. Ausgezeichnete Verse also, schwierig, selten. Danke.
Margaret Atwood: „Der Report der Magd“. Roman.
Aus dem Englischen v. Helga Pfetsch. Berlin Verlag. 411 S., geb., 25,- €.
Atwoods im Jahr 1985 erschienene weltberühmte Dystopie in einer wundervoll sorgfältigen Neuausgabe, ganz in Schwarz und Rot.
Olaf Thormann (Hrsg.): „Bikes!“ Das Fahrrad neu erfinden.
Hirmer Verlag. 192 S., zahlr. Abb., geb., 29,90 €.
Ein Blick in die Werkstätten und Labore, die an der Zukunft des Zweirads arbeiten: Das humanste Transportmittel der Welt ist noch lange nicht zu Ende gedacht.
Marcel Proust: „Das Flimmern des Herzens“.
Aus dem Französischen von Stefan Zweifel. Die Andere Bibliothek. XXXV und 696 S., Abb., geb., 42,- €.
Die erste Fassung des schönsten jemals geschriebenen Romanwerks und was aus der Bearbeitung der Druckfahnen daraus geworden ist.
Colson Whitehead: „Underground Railroad“. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Nikolas Stingl. Hanser Verlag. 352 S., geb., 24,- €.
Das Buch eines dichtenden Träumers, der mit literarischen Mitteln zeigt, wie albtraumhaft und surreal die Erfahrung von Sklaverei war.
Stefan Moses: „Peggy Guggenheim“.
Elisabeth Sandmann Verlag. 144 S., Abb., geb., 48,- €.
Stefan Moses lockte Prominente gern mit eigenwilligen Ideen aus der Reserve. Bei Peggy Guggenheim war das nicht nötig. Besucht hat er sie 1969 und 1974 – jetzt gibt es die Bilder endlich als Buch.
Éric Rohmer: „Zelluloid und Marmor“. Essays und Gespräche.
Hrsg. von Noel Herpe und Philippe Fauvel. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Marcus Seibert. Alexander Verlag. 181 S., br., 18,- €.
Endlich deutsch! Rohmer lesen ist fast so gut wie seine Filme sehen.
Wolfgang Matz: „Frankreich gegen Frankreich“. Die Schriftsteller zwischen Literatur und Ideologie.
Wallstein Verlag. 240 S., geb., 22,- €.
Wer französische Verbohrtheiten ganz links verstehen möchte, sollte an diesem vorzüglichen Essay nicht vorbeigehen.
Julia Encke: „Wer ist Michel Houellebecq?“ Porträt eines Provokateurs.
Verlag Rowohlt Berlin. 250 S., Abb., geb., 19,95 €.
Porträt eines großen Dichters, Romantikers und Visionärs, der wie kein anderer die Stimmung unserer Zeit erfasst und auch darum regelmäßig überfällige Debatten auslöst.
Marcel Proust: „Das Flimmern des Herzens“. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – Die ursprüngliche Fassung.
Aus den französischen Druckbogen erstmals übersetzt, mit Anhang und Vorwort von Stefan Zweifel. Andere Bibliothek.
Sven Regener: „Wiener Straße“. Roman.
Galiani Verlag. 296 S., geb., 22,- €.
„Längst fällig“ war es nicht, selbst Regener kann ja nicht hexen. Dies ist handwerklich vielleicht sein bestes Buch und ein bemerkenswert schlüssiger Roman über eine alte Frage: Was ist Kunst? Dies hier!
Samuel Selvon: „Die Taugenichtse“. Roman.
Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Deutscher Taschenbuchverlag. 174 S., geb., 18,- €.
Erschienen zwei Generationen vor Zadie Smith und Teju Cole: Selvons Klassiker der Migrationsliteratur, erstmals auf Deutsch.
Christian Demandt, Philipp Theisohn (Hrsg.): „Storm-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung“.
Metzler Verlag. 429 S., geb., 89,95 €.
Welcher Autor des 19. Jahrhunderts wird heute noch so gelesen wie Storm? Dieses Buch erklärt, warum. Erst recht nach dem Jubiläum zu Storms 200. Geburtstag.
Theodor Mommsen: „Das Römische Staatsrecht“.
Unveränderter Nachdruck der 3. Auflage 1887. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 3 Bd., zus. 3320 S., geb., 149,- €.
Das wichtigste althistorische Werk deutscher Sprache ist jetzt wieder zu haben – mit einer glänzenden Einführung von Stefan Rebenich.
Andreas Beyer: „Die Kunst – Zur Sprache gebracht“.
Hrsg. von Lena Bader, Johannes Grave und Markus Rath. Wagenbach Verlag. 208 S., br., 14,90 €.
Ein Florilegium von Aufsätzen des Autors, kurz kommentiert von befreundeten Kunsthistorikern. Von Aby Warburg bis zu Verrocchio.
Jim White: Waffles, Triangles and Jesus.
Loose Music (Rough Trade). 1 CD. 14,99 €.
„Weird Folk“ macht ja inzwischen fast jeder. „Weird Country“ ist die Zukunft.
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 01.12.2017 12:47 Uhr
