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Zum Tod von Brigitte Hamann : Ungekrönte Königin im Reich der Historiker

Schuf ein Werk mit Feinstruktur: Brigitte Hamann (1940 - 2016) Bild: Picture-Alliance

Die Historikerin Brigitte Hamann erzählte die Geschichte der Macht nach allen Regeln der Kunst. Ihr Buch „Hitlers Wien“ und ihre „Sisi“-Biografie erreichten ein Weltpublikum. Jetzt ist sie mit 76 Jahren gestorben.

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          Kann man seine Forschungen deutlicher ins Zeichen des Königlichen, ja Kaiserlichen stellen? „Ein Herz und viele Kronen. Das Leben der Kaiserin Maria Theresia“ war der Titel eines Kinderbuchs von Brigitte Hamann, es erschien 1985. Aber von der kritischen Geschichtsschreibung blieb auch sie nicht gerade unberührt: „Rudolf. Kronprinz und Rebell“, ihr Erstling, die überarbeitete Dissertation, erschien schon 1978. Der Durchbruch aber gelang Brigitte Hamann 1982 mit ihrem Buch über Sisi: „Elisabeth. Kaiserin wider Willen“. Wer zählt die Auflagen? Bis heute hält das Werk im Online-Buchhandel einen staunenswerten Verkaufsrang.

          Lorenz Jäger
          Freier Autor im Feuilleton.

          „Gerührt über die tosenden Jubelrufe der Münchner, stellte sich Sisi im Wagen auf, ihr Gesicht tränenüberströmt, und winkte mit ihrem Taschentuch der Menge zu.“ Das Wort „Gender“ muss nun doch fallen – so hätte nämlich 1982 kein männlicher Historiker schreiben können (er hätte sich mit der Sozialstruktur süddeutscher Regionen und des Donauraums unter besonderer Berücksichtigung von diesem und jenem beschäftigt). Aber genau hier könnte man in eine Rezeptionsfalle laufen, denn Brigitte Hamann war methodisch alles andere als naiv. Wenn sie über Sisis Schönheit schrieb, dann nach den neuen Maximen der Kulturwissenschaften, und dann bildete die Inszenierung einen Hauptpunkt, vom „Haarkult“ war die Rede und von der zuständigen Friseurin Fanny Feifalik.

          Aber über diese Vignetten aus der kaiserlichen Nah-Umgebung hinaus wird die politische Geschichte der Zeit nach allen Regeln der Kunst aufgerollt. Vor allem aber: Gegenstand der Biographie war, so lesen wir im Vorwort, „eine Frau, die sich weigerte, sich ihrem Stand gemäß zu verhalten. Mit beachtlichem Selbstbewusstsein erstrebte und erreichte sie jenes Ziel, das erst die Frauenbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihrem Schlagwort ,Selbstverwirklichung‘ formulierte.“ Zu der Zeit, als Brigitte Hamann dieses Buch schrieb, 1981, wurde Diana Spencer die Frau von Prinz Charles, in jeder Hinsicht eine Aktualisierung des Sisi-Mythos und der Sisi-Leiden bis hin zu den Ess-Neurosen.

          Was Hitler verschweigen wollte

          Wien blieb das Zentrum. Nun aber in seinen sinistren Zeiten, nach Sisi. 1998 erschien „Hitlers Wien: Lehrjahre eines Diktators“. Das Buch war auch deshalb so aufschlussreich, weil Hitler alle Hinweise auf seine frühe Zeit hatte tilgen lassen – ausschließlich „Mein Kampf“ sollte als Quelle dienen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Wieder errang Brigitte Hamann einen Erfolg, wieder mit großem Recht. Denn die ungemein reiche Kultur Wiens wurde aufgerollt, ebenso aber die bedrückende soziale Lage der unteren Schichten – und die strukturellen Krisen eines multinationalen Parlaments. Schließlich war Wien auch die erste Großstadt, in der von 1897 bis 1910 in Gestalt von Karl Lueger ein antisemitischer Bürgermeister amtierte; Hitler konnte sich manches von ihm abschauen.

          Karl Kraus hatte Österreich eine „Versuchsstation für den Weltuntergang“ genannt. Brigitte Hamanns Werk geht in die Feinstruktur, die ohne die Geschichte der Akteure nicht zu haben ist. Am Dienstag ist die Historikerin sechsundsiebzigjährig in ihrem geliebten Wien verstorben.

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