Zukunft des Buches : Mehr scannen, weniger lesen
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Als das Lesen noch geholfen hat: Die heutigen Studierenden haben sich schon entwöhnt Bild: Mayk
Müssen wir, sollen wir uns vom gedruckten Buch verabschieden? Und wie verändert die Digitalisierung das wissenschaftliche Leben? Die Mainzer Akademie macht sich Gedanken über die Zukunft des Buches.
Vegetarische Haie: In dem Animationsfilm „Findet Nemo“ wird dem mörderischen Riesenhai Bruce von seinen Kompagnons Hammer und Hart ein Merksatz eingebimst: Fische sind Freunde - kein Futter. Die Haie haben eine Selbsthilfegruppe gegründet, um aus dem blutigen Kreislauf des Fressen und Gefressen-Werdens auszuscheren. Das misslingt gründlich. Bestimmt hätte sich dieses innovative Trio am Donnerstag auch in der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur gut zurechtgefunden.

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Denn dort wurden unter dem Titel „Zukunft des Buches“ überwiegend bange Fragen aufgeworfen, wie man das Buch gegen die elektronischen Medien als „Königsweg der bürgerlichen Individuation (Habermas) verteidigen könne. Wolfgang Frühwald, vormals DFG-Präsident und Ehrenpräsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, warf sich energisch für die Buchkultur in die Bresche. Die Schattenseiten des Digitalzeitalters zeigen sich für ihn besonders an der Google-Buchsuche. Das Unternehmen, Millionen von Büchern online zu stellen, sei das am wenigsten sorgfältige Digitalisierungsprojekt der Geschichte, „ein riesiger Bücherhaufen“.
Google verkauft doch bloß Heilserwartungen
Dabei verkaufe Google doch bloß traditionelle amerikanische Erlösungsideen - gemäß denen geschäftlicher Erfolg ein diesseitiges Heilszeichen sei. Der Harvard-Bibliothekar Robert Darnton habe Google zu Recht einen „Zöllner“ genannt, weil der Suchmaschinen-Betreiber unzweifelhaft ein Monopol anstrebe. Mit Büchern habe das nichts zu tun: „Ich leugne, dass es sich um eine neue Lesekultur handelt“, zürnte Frühwald.
Aus der Sicht eines Lexikographen relativierte der Romanist Wolfgang Schweickhard (Saarbrücken) die Kritik an Google: Der Kontrast zwischen der privatwirtschaftlichen Dynamik und der Reaktionsgeschwindigkeit öffentlicher Institutionen sei enorm. Im Zweifel wende man sich „dankbar“ wieder Google zu - auch und gerade was das von Frühwald als Gegenentwurf propagierte Online-Portal „Europeana“ angehe.
Dieter Wellershoff will kein Dienstreisender der Eventkultur sein
Wandel allerorten: Frühwald ließ keinen Zweifel aufkommen, dass der Akt des Lesens sich abermals verändere: Habe man früher Folio-Ausgaben im Stehen lesen müssen, sei man durch die Einführung der Quartformate im achtzehnten Jahrhundert zum Sitzen übergegangen. Frühwald: „Gelesen wird jetzt im Sitzen oder sogar - Sie wissen es - im Liegen.“
Der Kölner Schriftsteller Dieter Wellershoff skizzierte die sich wandelnden Quellen des Schreibprozesses seines Autoren- und Lektorenlebens, sein Dasein mit und in Büchern. Der Computer sei fraglos ein Rationalisierungsgewinn, weil seine Frau nun nicht mehr seine Manuskriptflickenteppiche ins Reine tippen müsse, sondern selbst Bücher schreiben könne. Unter Berufung auf Maurice Blanchot beklagte Wellershoff Infotainment und Überproduktion: Alles sei da, alles zu viel, und alles signalisiere Bedeutung. In der „literarischen Plantagenkultur“ der Gegenwart seien Autoren nur mehr „Dienstreisende der Eventkultur“.
Die Preise der großen Verlage zwingen die Bibliotheken in die Knie
Nüchtern nahm sich dagegen die Herangehensweise von Wolfgang Schmitz aus, dem Direktor der Kölner Stadt- und Universitätsbibliothek. Bestimmte Buchgattungen seien tatsächlich Auslaufmodelle oder schon ausgestorben - Bibliographien, Firmen- und Vorlesungsverzeichnisse. Der Nutzer entscheide letztlich über dieses Schicksal. Insgesamt wachse der Eingang elektronischer Medien Jahr für Jahr; er mache derzeit rund ein Viertel aller Titel aus.
Die Preispolitik der großen Wissenschaftsverlage wie Springer Science, Reed Elsevier, Wiley und de Gruyter, die für elektronische Abonnements von Fachzeitschriften viel Geld nähmen, zwinge die Bibliotheken in die Knie. Die gedruckte Ausgabe von „Nature“ koste zweitausend Euro im Jahr, die Online-Fassung das Fünffache. Die Methode, den Platzmangel der Wissensspeicher durch Aussonderung zu beheben, bleibe heikel, weil sich die Bewertungskriterien ständig änderten.
Es herrscht eine bibliophobe Stimmung
Die Höhenflüge mancher abendländischer Rettungsappelle brachte der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner (Zürich) angenehm unsentimental auf den Boden der Tatsachen: Das Totenglöckchen über dem Buch läute seit vielen Jahren heftig, aber auch nur ein Besuch der Frankfurter Buchmesse überzeuge einen vom Gegenteil. Merke: Eine Technologie allein habe noch nie zum Aussterben der Vorgängertechnologie geführt. Sehr wohl aber sei das wissenschaftliche Buch durch geändertes Nutzungsverhalten der Studenten („more scanning, less reading“) unter Druck geraten. Die Studenten seien im Zeitalter des Bologna-Prozesses vom Lesen entwöhnt, die Lesezeit pro Artikel sinke kontinuierlich.
Zudem herrsche in der Kulturkritik, „die gerne auf den Sack schlägt, der ihr am nächsten steht“, derzeit eine bibliophobe Stimmung. Die mediale Heilserwartung schüre die Hoffnung, die postmaterielle Form des Buches werde demokratischer, fairer, schöner ausfallen. Michael Hagner unterstrich seinen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Ausgabe vom 6. Mai 2009) erhobenen Vorwurf, Universitäten, die ihre Forscher an die Rechte-Kandare nähmen, bedrohten das wissenschaftliche Publizieren im Kern.
Mausklicks in Zeiten des Klimawandels
Ungelöst bleibt das Problem der „Überforschung“ in den Geisteswissenschaften; ungelöst bleibt auch, dass der „Digitalfetischismus“ nicht den Klimawandel berücksichtige, wie der Verleger Dietrich Olms (Hildesheim) anmerkte. Jeder Mausklick schade der Weltenergiebilanz. So standen am Ende immerhin einige Gewissheiten: Bücher kann man verbrennen, Dateien nur löschen. Ein Leser ist ein Leser und kein User.
Bücher sind Freunde - kein Futter.