: Triumph der weißen Wand
- Aktualisiert am
Der moderne Ausstellungsraum hat sich vom großbürgerlichen Interieur abgesetzt, zeitweilig an Atelier- und Nutzräumen orientiert und schließlich mit der modernen Wohnraumästhetik liiert. Seitdem werden Kunstwerke in einem weißen Galerieraum inszeniert.
Der moderne Ausstellungsraum hat sich vom großbürgerlichen Interieur abgesetzt, zeitweilig an Atelier- und Nutzräumen orientiert und schließlich mit der modernen Wohnraumästhetik liiert. Seitdem werden Kunstwerke in einem weißen Galerieraum inszeniert. Über diesen "white cube" hat der irische Künstler Brian O' Doherty 1976 zuerst geschrieben. Nachdem Alexis Joachimides in einer Studie über Museumsreformen (2001) entscheidende Weichenstellungen auf dem Weg zum modernen Ausstelllungsraum aufgezeigt hatte, schildert Walter Grasskamp nun detailliert, wie er sich durchsetzte (Die weiße Ausstellungswand. Zur Vorgeschichte des ,white cube', in: Weiß, hrsg. von Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel, S.Fischer, Frankfurt am Main, 2003).
Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Präsentation von Kunstwerken von privaten Sammlern und Händlern geprägt, wobei Skulpturen, Gemälde und angewandte Kunst in sogenannten Epochenzimmern zusammengeführt wurden. Die Wände waren mit Samt bespannt oder lebhaft tapeziert, oft in kräftigem Galerierot. Von dieser Praxis führte kein Weg zum "white cube". Erste Ansätze einer nüchternen Ausstellungsgestaltung finden sich bei den Impressionisten, die sich an ihren Ateliers orientierten. Die Bilder hingen dort meist in zwei Reihen übereinander, während Paul Signac 1888 schon die einreihige Hängung in lockerem Abstand favorisierte. Wandbespannungen waren auch hier üblich; allerdings meist mit Stoff, oft in Grau, aber auch in Dunkelblau.
Die Farbe Weiß hatte um 1900 ihren ersten spektakulären Auftritt im Gebäude der Wiener Sezession. Die weißen Flächen waren aber noch ornamentiert und mit Gold kontrastiert. Auch diese Gestaltungsmittel verschwanden bei der Ausstellung Gustav Klimts, die 1910 auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde und die neue Ausstellungspraxis international bekannt machte. Zwischen Wien und Venedig wehte der neue Geist auch schon in Berlin. Peter Behrens präsentierte 1906 die "Jahrhundertausstellung deutscher Kunst" in der Nationalgalerie auf vorgeblendeten weißen Wänden, allerdings noch ornamentiert und die Bilder nicht einreihig gehängt. Hugo von Tschudi, der Direktor der Nationalgalerie, schloß sich diesem Vorbild bei den Wänden für den Impressionisten-Saal des Museums an.
In den ersten Ausstellungen der "Brücke" 1910 in Dresden und des "Blauen Reiters" 1912 in München wurden die Bilder noch auf dunklem Hintergrund gezeigt. Die Sonderbund-Ausstellung in Köln mit Werken von Vincent van Gogh und Edvard Munch (1912) näherte sich dagegen deutlich der modernen Ausstellungspraxis, ebenso wie das Max-Beckmann-Kabinett, das Tschudis Nachfolger 1919 in Berlin einrichtete.
Einen wichtigen Impuls für die weiße Ausstellungswand sieht Grasskamp darin, daß sie sich mit der abstrakten Kunst gut vertrug. Die nationalsozialistische Kunstpolitik erhob erstaunlicherweise keinen Einspruch gegen das moderne Raumkonzept. Die Ausstellung "Entartete Kunst" und die "Große deutsche Kunstausstellung", beide 1937, belegen, so Grasskamp. den Triumph der weißen Ausstellungswand. Trotzdem konnte der Unterschied kaum größer sein. Ende der dreißiger Jahre setzte sich die einreihige Hängung auf weißer Wand auch international durch. Das Museum of Modern Art in New York schloß sich 1939 mit seiner Eröffnungsausstellung dem neuen Stil an. Auf seinem Siegeszug korrespondierte das Konzept schließlich mit der unterkühlten Wohnraumgestaltung und verhalf dem Begriff "white cube" zu einer "Karriere, die beispiellos ist". Helmut Klemm