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Frauenquote : Die Politik plant eine große Frauenkaskade

Die Natur kennt nur Kaskaden von oben nach unten, die Wissenschaft soll das nun ändern.

Die Natur kennt nur Kaskaden von oben nach unten, die Wissenschaft soll das nun ändern. Bild: Angelika Jordans

Andernorts wird über Gleichstellungsquoten noch debattiert, in der Forschung hingegen schafft das Ministerium Schavan im Bund mit den Ländern Tatsachen, wider jeden Verstand.

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          Über „Frauenquoten“ für Vorstände und Aufsichtsräte großer Wirtschaftsunternehmen wird seit einiger Zeit gestritten. Unterdessen werden für die Wissenschaft, weitgehend unbeachtet, gerade Fakten geschaffen. Schon am 7. November vergangenen Jahres verpflichteten Bund und Länder per Beschluss in der „Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz“ (GWK) die deutschen außeruniversitären Forschungsorganisationen zur Einführung des sogenannten „Kaskadenmodells“. Die Initiative hierzu ging auf das Bundeswissenschaftsministerium zurück. Derzeit machen die Bund- und Ländervertreter in den Sitzungen der verschiedenen Leitungsgremien der maßgeblich Betroffenen - Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft und Fraunhofer-Gesellschaft - klar, dass Gehorsam die aus ihrer Sicht einzig akzeptable Haltung der Wissenschaft hierzu ist.

          Jürgen Kaube
          Herausgeber.

          Worum geht es? Der Grundgedanke des „Kaskadenmodells“ ist schlicht: Der in der Regel höhere Frauenanteil einer unteren Personalstufe soll zur Zielquote für die nachfolgend höhere Stufe werden. Dies kann sich etwa auf die Stufenfolge Doktoranden-Postdoktoranden-Professoren oder auch auf die einzelnen Vergütungsstufen beziehen. Wenn also beispielsweise dreißig Prozent der Doktoranden einer Einrichtung weiblich sind, so sollten sich diese dreißig Prozent demnächst auch auf der Ebene der Postdoktoranden wiederfinden. Das Modell beansprucht Gültigkeit über die gesamte Hierarchie des Personals hinweg - von den Absolventen bis hin zum Institutsleiter beziehungsweise von den E13- zu den W3-Positionen.

          Die Karriere hängt vom Studienfach ab

          Welches Problem soll mit einem derartigen Instrument gelöst werden? Zwischen 1992 und 2010 sind - wenn man das ganze deutsche Wissenschaftssystem in den Blick nimmt - die Anteile der Frauen kontinuierlich stark gestiegen. Sie liegen inzwischen bei den Immatrikulationen bei 49,5 Prozent, bei den Studienabschlüssen bei 51,8 Prozent und bei den Promotionen bei 44,1 Prozent. Bei den Habilitationen liegt der Wert derzeit bei 24,9 Prozent und bei den Professuren bei 19,2 Prozent. Das alles legt nicht gerade nahe, Frauen hätten es besonders schwer im Wissenschaftssystem. Vielmehr scheint das Gegenteil der Fall zu sein, denn während der genannte Anteil bei den Habilitationen sich seit 1992 „nur“ verdoppelt hat, liegt beim Anteil an den Professuren sogar eine Verdreifachung vor.

          Der Frankfurter Soziologe Fabian Ochsenfeld hat überdies in einer empirischen Studie nachgewiesen, dass die Rede von der „gläsernen Decke“, an die Frauen auf dem Weg zu Spitzenpositionen stoßen, trügerisch sein kann (“Gläserne Decke oder goldener Käfig: Scheitert der Aufstieg von Frauen in erste Managementpositionen an betrieblicher Diskriminierung oder an familiären Pflichten?“, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 3: 2012). Nach Auswertung der Karriereverläufe von Hochschulabsolventen kam Ochsenfeld zu dem Schluss, dass der Geschlechtsunterschied beim beruflichen Aufstieg einerseits vom Studienfach abhängt: Frauen studieren freiwilligerweise überproportional „weiche“ Fächer mit geringeren Karriereaussichten.

          Andererseits handelt es sich fast vollständig um den Unterschied nicht zwischen Frauen und Männern, sondern zwischen Müttern und Vätern. Zwischen kinderlosen Männern und kinderlosen Frauen bestand nämlich kaum eine Karrieredifferenz. Eine direkte Diskriminierung bei der Beförderung ließ sich nicht nachweisen, die Ungleichheit beruht vielmehr auf strukturellen Nachteilen für Frauen, die Kinder haben.

          Der Ton wird schärfer

          Sie würden durch eine Quote selbstverständlich nicht beseitigt. Das müsste sogar dem kognitiven Horizont von Zahlenfetischisten einleuchten, hat allerdings den Nachteil, dass dann andere Ministerien als jene für Wissenschaft gefragt wären: die für Arbeit und Soziales etwa, oder die Familienministerien.

          Also tönt es von Seiten der Wissenschaftspolitik unbeirrt: „Die Wissenschaftsorganisationen sollen signifikante Änderungen in der quantitativen Repräsentanz von Frauen insbesondere in anspruchsvollen Positionen des Wissenschaftssystems realisieren.“ (GWK: Pakt für Forschung und Innovation. Monitoring-Bericht 2012). Indem nun das Kaskadenmodell politisch verbindlich gemacht wird, kommt ein neuer und schärferer Ton in die Diskussion. Unter dem Vorwand der Ineffektivität entwinden Bund und Länder den Forschungsorganisationen das Instrument der wissenschaftsadäquaten Selbstverpflichtung in Sachen Chancengleichheit, wie es etwa in den „Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards“ der DFG oder in der „Offensive für Chancengleichheit“ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen angewandt wurde. Frauenquoten und die Umsetzung des Kaskadenmodells sind fortan Teil der Berichterstattung über die Verwendung der finanziellen Mittel, die den außeruniversitären Einrichtungen zufließen. Die Quoten sind ab 2013 jährlich zu berichten, ihre Erreichung bis zum Jahr 2017 Pflicht.

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