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: Gegen den Mythos der weltweiten Demokratisierung

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Als die amerikanischen Truppen den Irak stürmten, drang die "101st Airborne Division" in Nadschaf ein, im Süden des Landes, im Herzen des schiitischen Islams. Am Straßenrand stand ein Mann, den Wellen vorbeistürmender Soldaten und Panzer zuwinkend.

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          Als die amerikanischen Truppen den Irak stürmten, drang die "101st Airborne Division" in Nadschaf ein, im Süden des Landes, im Herzen des schiitischen Islams. Am Straßenrand stand ein Mann, den Wellen vorbeistürmender Soldaten und Panzer zuwinkend. Ein Reporter fragte ihn, welche Hoffnung er mit der Invasion verbinde. Was sollten die Amerikaner dem Irak bringen? Der Mann antwortete mit drei Worten, eines lauter als das andere: "Demokratie, Whisky, Sex." Wer wollte behaupten, der amerikanische Traum sei tot? Es wird nicht schwer sein, dem Irak Whisky und Sex zu bringen, falls es sie dort nicht gegeben haben sollte. Aber die Demokratie in eine Region zu bringen, der sie vollkommen fremd ist, dürfte schwieriger sein.

          Natürlich könnten die Vereinigten Staaten nach den Wahlen erklären, nun sei der Sieg errungen, und mit dieser Begründung abziehen. Doch Wahlen allein bringen noch keine Demokratie. Man denke nur an Rußland, wo Wladimir Putin zwar Wahlen gewinnt, aber dennoch wie ein Autokrat regiert. Er hat seine politischen Gegner aus ihren Ämtern vertrieben, die übrigen Säulen des Staates geschwächt und die einstmals freien Medien eingeschüchtert. Und er gehört zu den eher aufgeklärten Despoten. Der britische Politiker Paddy Ashdown, der einst zum "Zaren" Bosniens bestellt wurde, räumt ein, daß die Verwalter dort in der falschen Reihenfolge vorgegangen seien: "Wir dachten, die höchste Priorität habe die Demokratie, und maßen den Erfolg an der Zahl der Wahlen, die wir durchführen konnten. Die Folge ist, daß die Menschen in Bosnien nach vielen Jahren nun des Wählens überdrüssig sind. Außerdem sorgte die Konzentration auf die Wahlen dafür, daß wir in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Korruption nur langsam vorankamen. Das beeinträchtigte die Lebensqualität und schreckte ausländische Investoren ab."

          Als Jugoslawien und Indonesien noch von starken Männern regiert wurden, von Tito und Suharto, waren Toleranz und Säkularisierung dort stärker ausgeprägt als unter den heute herrschenden demokratischen Bedingungen. Natürlich ist das kein Grund, in Zukunft keine Wahlen mehr abzuhalten, aber wir sollten uns fragen, wo die Ursachen für diese besorgniserregende Entwicklung liegen. Wenn in einem Land Wahlen abgehalten werden, bei denen mehrere Parteien gegeneinander antreten, nennen wir es demokratisch. Wenn die Teilhabe der Bürger an der Politik eines Landes vergrößert wird, zum Beispiel durch die Einführung des Frauenwahlrechts, erblicken wir darin eine Erweiterung und Stärkung der Demokratie. Doch falls wir über diese Mindestanforderungen hinausgehen und ein Land nur dann demokratisch nennen wollen, wenn dort auch ein bestimmter Katalog sozialer, politischer, ökonomischer und religiöser Rechte garantiert ist - der zudem noch von Beobachter zu Beobachter variiert -, verliert der Begriff "Demokratie" seine Bedeutung. Schließlich gibt es in Schweden ein Wirtschaftssystem, das nach Ansicht vieler die individuellen Eigentumsrechte beschneidet, in Frankreich gab es bis vor kurzem beim Fernsehen noch ein Monopol, und England hat eine Staatsreligion. Aber all diese Länder sind eindeutig Demokratien.

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