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Gastbeitrag : Wie Windräder die Umwelt zerstören

  • -Aktualisiert am

Kein schöner Land: vier Windräder im Sonnenaufgang Bild: dpa

Die Windkraft gilt vielen als Zukunftstechnologie. Doch die gutgemeinte ökologische Energiegewinnung vernichtet Kulturlandschaften und stärkt unfreiwillig die Kohlekraftwerke.

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          Unter dem Vorwand, die Umwelt zu schützen, wird die Landschaft zerstört. Es ist an der Zeit, die Stromerzeugung durch „Stahlkolosse“, die eine Gesamthöhe von zweihundert Metern erreichen können, zu beenden. Zur Erinnerung: Der 161 Meter hohe Turm des Ulmer Münsters ist der höchste Kirchturm der Welt, und der Kölner Dom ist mit 157 Metern Höhe das zweithöchste Kirchengebäude Deutschlands. Gott sei Dank sind noch keine Pläne bekanntgeworden, in unmittelbarer Nähe dieser Sakralbauten Windräder zu errichten, um die Umwelt zu schützen. Hohe Grundstückspreise können auch ein Vorteil sein.

          Aber die Zerstörung der deutschen Kulturlandschaft schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Kein Wunder. Für ein Windrad, das an einem durchschnittlichen Standort in Deutschland im Jahr sechs Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt, wird pro Jahr eine Pacht von 60.000 Euro gezahlt. An windreichen Standorten in Norddeutschland steigen die jährlichen Einnahmen der Grundbesitzer auf 90.000 Euro.

          Öko ist nicht zwangsläufig gut für die Umwelt

          Der Anteil der Stromerzeugung aus Windenergie am primären Energieverbrauch in Deutschland wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit 1,3 Prozent für das Jahr 2012 angegeben. Und dafür sollen wir unsere Kulturlandschaft zerstören? Selbst wenn es gelänge, diesen Anteil auf 2,6 Prozent zu verdoppeln, wäre das noch immer nicht gerechtfertigt. Man muss kein Energieexperte sein, um sofort zu erkennen, dass der auf die Windenergie entfallende Anteil der Kohlendioxidreduzierung leicht durch andere Technologien ersetzt werden kann.

          Doch nicht einmal die Kohlendioxidbilanz der Windenergie ist zurzeit ein Argument. Es mehren sich Stimmen, die darauf hinweisen, dass der Ökostromausbau heute zu einem erhöhten Kohlendioxidausstoß führt. Ursache dafür ist, dass Gaskraftwerke sich nicht mehr rechnen, weshalb wieder vermehrt Kohlekraftwerke eingesetzt werden. Das Fördersystem für erneuerbare Energien sorgt so dafür, dass mit jedem neuen Windrad mehr Kohle verfeuert und daher zusätzliches Kohlendioxid ausgestoßen wird.

          Was unter dem Vorwand des Umweltschutzes angerichtet wird, hat der Schriftsteller Botho Strauß treffend beschrieben: „Eine brutalere Zerstörung der Landschaft, als sie mit Windkrafträdern zu spicken und zu verriegeln, hat zuvor keine Phase der Industrialisierung verursacht. Es ist die Auslöschung aller Dichter-Blicke der deutschen Literatur von Hölderlin bis Bobrowski. Eine schonungslosere Ausbeute der Natur lässt sich kaum denken, sie vernichtet nicht nur Lebens-, sondern auch tiefreichende Erinnerungsräume. Dem geht allerdings voraus, dass für die kulturelle Landschaft allgemein kaum noch ein Empfinden lebendig ist. So verbindet sich das sinnliche Barbarentum der Energieökologen dem des Massentourismus.“

          Die Landschaft wird ihrer Poesie beraubt

          Ein extremes Beispiel für das sinnliche Barbarentum der Geldmacherei, die sich als Energieökologie maskiert, findet sich neuerdings im Saarland. An der deutsch-französischen Grenze, im Landkreis Merzig, wurde unter der Leitung des Bildhauers Paul Schneider eine Skulpturenstraße errichtet. „Der tiefe Wunsch des Bildhauers, eine Steinskulptur frei im natürlichen Raum zu gestalten, wo jahreszeitliche Veränderungen, wo Tag- und Nachthimmel im Wechselspiel der Wolken beitragen zu einem so anregenden und vielseitigen Thema wie Steine in der Landschaft, hat mich bewegt, Bildhauerkollegen aus verschiedenen Ländern einzuladen.“ So begründete der Künstler seine Idee. 32 Skulpturen sind im Laufe der Jahre entstanden. Künstler aus sechzehn Nationen haben die „Steine an der Grenze“ geschaffen. Die Werke der Bildhauer haben der Landschaft ein anderes Gesicht gegeben. Sie haben sie verändert, so wie sie die Schwingungen dieser Landschaft aufgenommen und ihre jetzige Form erhalten haben. Diese Landschaft, der Saargau, hat ihren eigenen Reiz.

          Oskar Lafontaine war Bundesfinanzminister und Vorsitzender der SPD sowie der Linken
          Oskar Lafontaine war Bundesfinanzminister und Vorsitzender der SPD sowie der Linken : Bild: dpa

          Der Schriftsteller Alfred Gulden, der wie kein anderer diese Landschaft besungen hat, schreibt: „Und nicht zuletzt deshalb ist mir dieses Land auf der Grenze, dieses ,Hochland‘, das nur noch Weite ist, wenn man darauf steht, zur poetischen Formel geworden, nimmt es in meinem Kopf diesen Raum ein, hat es in meinem Herzen diesen Platz, gilt ihm ungebrochen meine Sehnsucht, vielleicht, weil sie dem Kind damals Geheimnis, ,was ist dahinter‘, war, wenn es vom Bunker am Ende des elterlichen Gartens über Saarlouis hinweg auf die gegenüberliegende Hügelkette schaute. Die Frage ,was ist dahinter‘ als Triebfeder, als Unruhe ist mit mir gewachsen, und nur selten lässt sie mich los. Diese seltenen Augenblicke aber habe ich inmitten dieser Landschaft, wenn alle Last von mir abfällt, plötzlich, und ich mich unbeschwert, leicht, frei fühle...“

          Die neuen Lobbyisten

          Dass sich der Wanderer im Schatten von dreizehn Windrädern in direkter Nähe der Skulpturenstraße „Steine an der Grenze“ auch in Zukunft unbeschwert, leicht und frei fühlen wird, kann ausgeschlossen werden. „Hier geht es gar nicht um Natur und ihren Schutz. Hier geht es möglicherweise schlicht um Geld“, schrieb der Dirigent Enoch zu Guttenberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. So ist es. In einer Gesellschaftsordnung, in der die Geldvermehrung die Entwicklung steuert, kommen Poesie und Kulturlandschaft sprichwörtlich unter die Räder.

          Die Windkraftbranche hat, wenn es um die Beeinflussung, besser um die Käuflichkeit politischer Entscheidungen geht, viel von der Wirtschaftslobby gelernt. Im harmloseren Fall werden Zuschüsse an Kindergärten oder Sportvereine in Aussicht gestellt, um die Genehmigung eines Landrates, Bürgermeisters, Gemeinderates oder Ortsrates zu erreichen. Bis die Bürger von diesen Vorgängen Kenntnis erhalten, ist es oft zu spät, da das Genehmigungsverfahren schon zu weit fortgeschritten ist. Daher sollten Bürgerentscheide in den Gemeinden, in denen Windräder errichtet werden sollen, verbindlich vorgeschrieben werden.

          Das Gefühl für Poesie und Schönheit wird wohl nicht mehr ausreichen, um diese Brutalität zu stoppen. Für die kulturelle Landschaft allgemein, da hat Botho Strauß wohl recht, ist kaum noch ein Empfinden lebendig. Also versuchen wir es anders: Es ist ökonomisch und technisch unsinnig, auf einem Weg weiterzugehen, der den Kohlendioxidausstoß steigert, den Strompreis erhöht und dessen Ziel bei intelligenterer Technik einfacher und billiger zu erreichen ist.

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