Große Revolutionen : Zur Wiederholung nicht empfohlen
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Die Bolschewisten stürmen am 7. November 1917 den Winterpalast von St. Petersburg; zeitgenössisches Gemälde. Bild: action press
Wer kennt den Unterschied zwischen einer bürgerlichen und einer proletarischen Revolution? Marx und Engels übersahen ihn. Sonst wäre vieles anders gekommen. Ein Gastbeitrag.
In der Geschichte der Französischen Revolution bildet die „Verschwörung der Gleichen“ um François Noël („Gracchus“) Babeuf kaum mehr als eine Fußnote. Doch sie brachte einen Grundgedanken hervor, der die Hinrichtung ihrer wichtigsten Protagonisten im Mai 1797 überlebte: die Idee der vollständigen Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft, herbeizuführen durch eine zur revolutionären Tat entschlossene Minderheit. Die bürgerliche Revolution von 1789 war demnach, so formulierte es der Mitverschwörer Sylvain Maréchal 1796 im „Manifest der Gleichen“, „nur die Vorläuferin einer anderen, sehr viel größeren, sehr viel ernsteren Revolution, die die letzte sein wird“.
Wir wissen nicht, wann genau Karl Marx die von ihm in seinen Frühschriften immer wieder zitierte, 1828 in Brüssel erschienene Schrift von Babeufs Kampfgefährten Philippe Michele Buonarroti über die „Verschwörung der Gleichen“ erstmals gelesen hat, in der das „Manifest der Gleichen“ abgedruckt ist. Der Gedanke, dass 1789 nur das Vorspiel der eigentlichen, der kommunistischen Revolution gewesen sei, ließ ihn jedenfalls seit seinen Pariser Exiljahren, also seit Ende 1843, nicht mehr los. Mehr noch: Die wissenschaftliche Begründung der Notwendigkeit der größten und letzten Revolution der Geschichte wurde zu seiner persönlichen Mission, und die Analogie zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Revolution zum archimedischen Punkt im Denken von Marx und Engels – zum Erkenntnisinteresse, von dem sie sich fortan bei der Grundlegung des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ leiten ließen.
Revolutionärer Anspruch des Dritten Standes
Die Grundkonstellation der klassischen bürgerlichen Revolution, die 1789 in Frankreich stattfand, war für Marx und Engels die folgende: Um die Macht im Staat zu erobern, musste der aufstrebende Dritte Stand darlegen, dass die bisher privilegierten Stände nichts mehr vorzuweisen hatten, was ihre Vorrechte hätte rechtfertigen können. Die Wirklichkeit stützte die bürgerliche Kritik: Adel und hoher Klerus übten um 1789 keine gesellschaftlich notwendigen Funktionen mehr aus; sie waren funktionslos, also überflüssig geworden, und ebendies machte ihre Privilegien zum gesellschaftlichen Ärgernis. Das Missverhältnis zwischen Bevorrechtung und Leistung der oberen Stände legitimierte den revolutionären Anspruch des Dritten Standes, der in dem Maß zum allgemeinen Stand wurde, wie er die Sache der nichtprivilegierten Teile der Gesellschaft zu seiner eigenen erklärte.
Die zentrale Annahme von Marx und Engels war nun, dass diese Konstellation nicht etwa historisch singulär, sondern prinzipiell wiederholbar war. „Die Bourgeoisie wird und muss vor dem Proletariat ebenso zu Boden sinken, wie die Aristokratie und das unbeschränkte Königtum von der Mittelklasse den Todesstoß erhalten hat“, postulierte Engels im Juni 1847. Die ökonomische Begründung lieferten Marx und Engels wenig später im Kommunistischen Manifest: So wie früher die feudalen Produktionsverhältnisse zu Fesseln der kapitalistischen Produktionskräfte geworden seien, so jetzt die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu Fesseln der modernen Produktivkräfte. Daraus folgte: „Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst.“